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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
Autoren: Gillian Flynn
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Schönheitssalon und eine Eisenwarenhandlung, einen Billigladen und eine Bücherei mit ungefähr zwölf Regalen. Ein Bekleidungsgeschäft namens Candy’s Casuals, in dem man Pullover, Rollis und Sweatshirts kaufen kann, die mit Enten und Schulgebäuden bedruckt sind. Die meisten netten Frauen von Wind Gap sind Lehrerinnen, Mütter oder arbeiten in Läden wie Candy’s Casuals. In einigen Jahren wird es sicher auch ein Starbucks geben, das der Stadt endlich die lang ersehnte, vorgefertigte Mainstream-Coolness bringt. Doch bislang gibt es auf der Main Street nur ein schmuddliges Café, das von einer Familie geführt wird, deren Name mir entfallen ist.
    Die Hauptstraße lag verlassen da. Keine Autos, keine Leute. Ein Hund trottete den Gehweg entlang. An sämtlichen Laternenpfählen hingen gelbe Bänder und körnige Fotos eines Mädchens. Ich parkte und schälte einen Zettel ab, den wohl ein Kind schief an ein Stoppschild geklebt hatte. Er war handgeschrieben. »Vermisst« stand in fetten Buchstaben darüber, die mit Textmarker ausgemalt waren. Auf dem Foto war ein dunkeläugiges Mädchen mit katzenhaftem Lächeln und üppigem Haarschopf zu sehen. Der Typ Mädchen, den Lehrer gern als »schwierig« bezeichnen. Mir gefiel sie.
    Natalie Jane Keene
    Alter: 10
    Vermisst seit dem 11 . 5 .
    Zuletzt gesehen im Jacob J. Garrett-Park
    in blauen Jeansshorts und rotgestreiftem T-Shirt
    Hinweise: 588 – 7377
    Ich hatte gehofft, dass man mir auf der Polizeiwache sagen würde, dass Natalie Jane wohlbehalten gefunden worden sei. Dass sie sich bloß verlaufen oder im Wald den Knöchel verstaucht habe oder von zu Hause weggelaufen sei, sich dann aber eines Besseren besonnen habe. Dann wäre ich einfach ins Auto gestiegen und sofort wieder nach Chicago zurückgefahren und hätte kein Wort mehr darüber verloren.
    Doch wie sich herausstellte, waren die Straßen deshalb so verlassen, weil die halbe Stadt die Wälder nördlich von Wind Gap absuchte. Chief Bill Vickery würde bald zur Mittagspause zurückkehren. Im Warteraum war es heimelig wie in einer Zahnarztpraxis. Ich hockte auf dem letzten orangefarbenen Sitz der Reihe und blätterte in
Redbook.
Ein elektrischer Lufterfrischer verströmte zischend seinen Plastikduft, der an eine Landbrise erinnern sollte. Dreißig Minuten später hatte ich drei Zeitschriften durch und konnte den Geruch nicht mehr ertragen. Als Vickery endlich hereinkam, nickte die Empfangsdame zu mir hinüber und flüsterte ebenso eifrig wie verächtlich: »Von der Zeitung.«
    Vickery, ein schlanker Typ von Anfang fünfzig, hatte seine beigefarbene Uniform durchgeschwitzt. Das Hemd klebte am Oberkörper, die Hose beulte sich, wo der Hintern hätte sein sollen.
    »Zeitung?« Er starrte mich über seine Bifokalbrille an. »Von welcher Zeitung?«
    »Chief Vickery, ich heiße Camille Preaker und arbeite in Chicago für die
Daily Post

    »Chicago? Warum kommen Sie von so weit her?«
    »Ich würde gern mit Ihnen über die Mädchen sprechen – Natalie Keene und das andere Mädchen, das letztes Jahr ermordet wurde.«
    »Herrgott nochmal, wie haben Sie denn davon Wind bekommen?«
    Er sah die Empfangsdame an, dann wieder mich, als hätten wir uns gegen ihn verschworen. Schließlich bedeutete er mir, ihm zu folgen. »Keine Anrufe, Ruth.«
    Die Empfangsdame verdrehte die Augen.
    Bill Vickery ging vor mir her durch einen holzgetäfelten Flur, den schachbrettartig aufgehängte Fotos von Forellen und Pferden in billigen Rahmen säumten. Sein Büro war klein, quadratisch, fensterlos, mit Metallregalen. Er setzte sich und zündete sich eine Zigarette an, ohne mir eine anzubieten.
    »Ich will nicht, dass das bekannt wird, Miss. Das lasse ich auf keinen Fall zu.«
    »Bedauere, Chief Vickery, aber Sie haben keine Wahl. Es sind Kinder in Gefahr, das sollte die Öffentlichkeit wissen.« Diesen Ansatz hatte ich mir unterwegs überlegt, um mich ins rechte Licht zu rücken.
    »Was geht Sie das an? Es sind doch nicht Ihre Kinder, sondern Kinder aus Wind Gap.« Er stand auf, setzte sich wieder, räumte Papiere um. »Es ist wohl kaum gelogen, wenn ich behaupte, dass sich in Chicago noch nie einer für die Kinder in Wind Gap interessiert hat.« Seine Stimme brach beim letzten Wort. Er zog an seiner Zigarette, drehte den dicken Goldring, den er am kleinen Finger trug, blinzelte hektisch. Ich fragte mich, ob er gleich in Tränen ausbrechen würde.
    »Vermutlich haben Sie recht. Ich will die Sache nicht ausschlachten, aber sie ist mir
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