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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
Autoren: Gillian Flynn
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Abdrücke auf den Lehnen.
     
    Ich besitze keine Haustiere, die versorgt, und keine Pflanzen, die von Nachbarn gegossen werden müssen. Zu meiner eigenen Beruhigung stopfte ich Klamotten für fünf Tage in einen Matchsack und hoffte, dass ich spätestens Ende der Woche wieder aus Wind Gap verschwinden könnte. Als ich mich noch einmal umsah, traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz: Meine Wohnung sah aus wie eine Studentenbude – billig, provisorisch und ziemlich farblos. Ich nahm mir fest vor, mir als Belohnung für die tolle Story, die ich ausgraben würde, ein vernünftiges Sofa anzuschaffen.
    Auf dem Tisch neben der Tür stand ein Teenagerfoto von mir, auf dem ich Marian auf dem Arm halte. Sie ist etwa sieben. Wir lachen beide. Sie hat die Augen überrascht aufgerissen, während ich meine zukneife. Ich drücke sie an mich, ihre mageren Beine baumeln vor meinen Knien. Ich weiß nicht mehr, worüber wir lachen. Im Laufe der Zeit ist ein schönes Geheimnis daraus geworden. Ich glaube, es ist mir lieber so.
     
    Ich dusche nie. Ich bade. Ich kann den Wasserstrahl nicht aushalten, er lässt meine Haut summen, als hätte jemand einen Schalter gedrückt. Also stopfte ich ein dünnes Hotelhandtuch in den Abfluss der Dusche, richtete den Duschkopf gegen die Wand und hockte mich in eine Pfütze von knapp zehn Zentimetern Tiefe.
    Kein zweites Handtuch, also rannte ich zum Bett und trocknete mich mit der billigen Flauschdecke ab. Dann trank ich warmen Bourbon und verfluchte die defekte Eismaschine.
    Wind Gap liegt etwa elf Stunden südlich von Chicago. Curry war so großzügig gewesen, mir eine Übernachtung im Motel und ein Frühstück zu bezahlen, falls ich an einer Tankstelle aß. In Wind Gap würde ich dann bei meiner Mutter wohnen. Das hatte er für mich entschieden. Ich wusste schon, wie sie reagieren würde, wenn ich bei ihr auftauchte. Ein rasches, schockiertes Erröten, die Hand zur Frisur, eine ungeschickte Umarmung. Sie würde sich für die Unordnung im Haus entschuldigen, das gar nicht unordentlich war. Und mit höflichen Umschreibungen danach fragen, wie lange ich zu bleiben gedachte.
    »Wie lange haben wir das Vergnügen, Liebes?«
    Übersetzt: »Wann fährst du wieder?«
    Die Höflichkeit war am schlimmsten.
    Eigentlich sollte ich mir Notizen machen, mich vorbereiten, Fragen entwerfen. Stattdessen trank ich weiter Bourbon, warf Aspirin hinterher, schaltete das Licht aus. Das feuchte Schnurren der Klimaanlage und das elektronische Piepsen eines Videospiels nebenan schläferten mich ein. Ich war nur dreißig Meilen von meiner Heimatstadt entfernt, brauchte aber eine letzte Nacht mit mir allein.
     
    Am Morgen verschlang ich einen alten Donut mit Gelee und fuhr weiter nach Süden. Es wurde heißer, der Wald beiderseits der Straße dichter und üppiger. Dieser Teil von Missouri ist seltsam flach – meilenweit öde Bäume, nur unterbrochen vom schmalen Band des Highways. Immer die gleiche Aussicht.
    Aus der Ferne kann man Wind Gap nicht erkennen, da das höchste Gebäude nur zweigeschossig ist. Doch nach zwanzig Minuten wusste ich, was kam. Zuerst tauchte eine Tankstelle auf. Davor eine Gruppe gelangweilter, magerer Halbwüchsiger mit nacktem Oberkörper. Ein Kleinkind in Pampers warf mit beiden Händen Schotter in die Luft, während seine Mutter ihren alten Pick-up betankte. Sie hatte die Haare goldblond gefärbt, doch sie waren fast bis zu den Ohren braun nachgewachsen. Sie rief den Jungs etwas zu, das ich im Vorbeifahren nicht verstehen konnte. Bald darauf wurde der Wald lichter. Ich kam an einem winzigen Einkaufszentrum mit Sonnenstudio, Waffengeschäft und Stoffhandlung vorbei. Es folgte eine einsame Sackgasse mit alten Häusern, Teil einer Siedlung, die nie fertiggestellt worden war. Und dann erreichte ich die eigentliche Stadt.
    Ich hielt unwillkürlich die Luft an, als ich am Willkommensschild vorbeifuhr, so wie Kinder es an Friedhöfen tun. Seit acht Jahren war ich nicht mehr hier gewesen, aber diese Szenerie erkannte ich im Schlaf. Am Ende jener Straße wohnte meine Klavierlehrerin aus der Grundschule, eine ehemalige Nonne, die aus dem Mund nach Eiern roch. Der Weg dort drüben führte zu einem winzigen Park, in dem ich an einem schwitzig heißen Sommertag meine erste Zigarette geraucht hatte. Dort ging es nach Woodberry und zum Krankenhaus.
    Zunächst wollte ich zur Polizeiwache am Ende der Main Street, die einzige Straße in ganz Wind Gap, die diesen Namen verdient. Dort findet man einen
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