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Crime

Crime

Titel: Crime
Autoren: Irvine Welsh , Pößneck GGP Media GmbH
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Gewaltbereitschaft, die ihn nie zu verlassen schienen.
    Für sie ist es ganz natürlich, Anmut eher als Zielvorstellung und weniger als Zustand zu betrachten. Vor einigen Jahren hatte sie beschlossen, in ihrer Ernährung auf Zucker und Kohlehydrate weitgehend zu verzichten, sich regelmäßig sportlich zu betätigen, mehr Geld für anständige Klamotten und Make-up auszugeben, kurz: in ihre äußere Erscheinung Zeit zu investieren . Die hohen Wangenknochenund der schlanke, sportliche Körper, die sich nach kürzester Zeit einstellten, waren beinahe ein Schock für sie. Danach kamen die Blondierungen– aber die größte Überraschung war, mit welcher Selbstverständlichkeit alle Welt sie auf einmal als im konventionellen Sinne schön einstufte. Es war ernüchternd zu erleben, wie viel Ernährung, Sport und Kosmetik hinter dem steckte, was dem weiblichen Schönheitsideal entsprach. Dennoch hatte Trudi sich von der Oberflächlichkeit des Ganzen verzaubern lassen; den Machtzuwachs, den es ihr so mühelos einbrachte. Die schmeichelhafte Aufmerksamkeit der anderen, wie sich Männergruppen in Bars liebenswürdig vor ihr teilten wie das Rote Meer vor Moses. Die gehässigen Blicke und beißenden Bemerkungen anderer Frauen, die nur Make-up, Kleidung, Diät und Sport an ihr sahen, die Mühen, die sie selbst nicht auf sich nehmen wollten oder konnten. Wie Männer und Frauen in dem Versorgungsunternehmen, für das sie arbeitete, ihr bei überfüllten Meetings bereitwillig einen Platz frei machten. Sie war die Erste, die vom Büroneuling gefragt wurde, was er ihr aus der Kantine mitbringen sollte. Der attraktive Jungmanager Mark McKendrick forderte sie zum Squash in der Mittagspause auf. Danach kamen die Beförderungen Schlag auf Schlag bis nach ganz oben an die gläserne Decke. Trudi Lowes unbarmherziger Durchmarsch von der kleinen Büroangestellten zur Vorzeigefrau in Managerposition.
    Und jetzt wieder mit Ray Lennox zusammen. Einem gebrochenen Kindersoldaten. Sie sieht zu, wie sein muskulöser, aber geschmeidiger Körper sich in die Kleidung hineinwindet, eine lange Segeltuchhose und ein Motörhead-T-Shirt. Sie bemerkt den leichten Fettansatz an seiner Taille; nein, es ist keine Einbildung. Aber nichts, was im Fitnessstudio nicht zu beheben wäre.
    Die Fernsehsendung verlagert nun ihren Schwerpunkt auf Miamis Museen und Denkmäler. Lennox fasst es nicht,als sie zu einem Holocaustdenkmal kommen, das hier in Miami Beach steht.– Gegen das Vergessen, sagt der Moderator treuherzig, deutlich zurückgenommener als beim Anpreisen der Eigentumswohnungen.– Ein Ort der Aussöhnung.
    – Was zum Henker macht so ein Ding in Miami Beach?, fragt Lennox ungläubig und zeigt auf den Bildschirm.– Das ist, als hätten sie in Las Vegas was stehen, das an den Völkermord in Ruanda erinnert!
    – Ich find das gut. Trudi legt ihre Zeitschrift hin.– In jeder Stadt der Welt sollte es so was geben.
    – Was hat Miami mit dem Holocaust zu tun? Lennox zieht fragend die Augenbrauen hoch. Plötzlich bricht Sonnenlicht durch die Jalousien und teilt den Raum in schmale goldene Streifen. Er kann die Staubpartikel darin tanzen sehen. Er will ins Freie, raus aus den klimatisierten Räumen.
    – Wie der Mann schon gesagt hat: ein Ort der Aussöhnung, konstatiert Trudi.– Außerdem mein ich, ich hätte im Rough Guide gelesen, dass in Miami viele Juden leben. Sie lässt sich aufs Bett zurücksinken. Das ist ihre Spezialität. Er kennt dieses Zurücksinken. Hat es mal geliebt. Aber bitte, oh Gott, nicht jetzt.
    – Ich brauch frische Luft, sagt Lennox und weicht ihrem hoffnungsvollen Blick aus. Stattdessen drückt er mit der verbundenen Hand ein paar Lamellen der Jalousie herunter und schaut hinüber zu den sonnenglitzernden Fassaden der vanilleweißen Wohnblocks, die ihn von gegenüber anlachen. Komm raus zum Spielen, scheinen sie zu rufen. Er greift zu dem Telefon auf dem dunklen Glastisch.– Ich hab versprochen, Ginger Rogers anzurufen. Ist ein guter Kumpel. Klingt wie ein Vorwand, auch für ihn selbst.– Ich hab den alten Gauner ewig nicht gesehen.
    – Muss das unbedingt jetzt direkt sein? Unter der nervlichen Belastung gerät Trudis erotisches Schnurren eherschrill und überspannt. Sie dreht den Kopf und schaut auf das leere Bett neben sich. Sieht dort vielleicht den Phantomorgasmus, der ihr Entspannung bringen würde.– Ich hab keine Lust, rumzusitzen und mit alten Leuten zu quasseln. Ich weiß nicht, was ich mit denen reden soll.
    – Ich auch
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