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Crashkurs

Crashkurs

Titel: Crashkurs
Autoren: Dirk Müller
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weniger Kappes sind. Die Spanne reicht von »möglicherweise etwas ungenau« bis »Volksverarsche«. Dennoch hat auch der geplagte Finanzmensch ein großes Problem: An irgendetwas muss er sich ja orientieren. Also hat man sich irgendwann stillschweigend dazu durchgerungen, dass es am einfachsten ist, so zu tun, als würden die offiziellen Daten, so wie sie sind, stimmen. Jetzt haben wir wenigstens eine mathematische Konstante, mit der alle rechnen. Wenn alle falsch rechnen, ist es für mich ja nicht so schlimm. Außerdem ist es ziemlich anstrengend, immer wieder gegen alle anderen mit dem Argument anrennen zu müssen: »Aber das stimmt doch alles nicht!« Man hat mit dem Alltagsgeschäft schon genug zu tun und kann nicht auch noch gegen Windmühlen kämpfen.
    Hinzu kommt ein höchst praktischer Nebeneffekt: Vielen Banken und Vermögensberatern passt es prima ins Konzept, wenn die Kunden glauben, dass die Inflationsrate bei 3 Prozent liegt. Dann finden die Kunden 5 Prozent Zinsen oder sogar 6 Prozent Fondserfolg eine ganz tolle Sache, hat man doch inflationsbereinigt 2 oder 3 Prozent verdient. Wenn der Kunde wüsste, dass die Inflation bei 10 Prozent liegt, würde er zu Recht sagen: »Habt ihr noch alle Latten am Zaun? Ich bekomme 5 Prozent Zinsen, während mir die Inflation jedes Jahr 10 Prozent wegfrisst!? Da bin ich ja bis zur Rente ein armer Mann!«
    Warum sollte also jemand ein Interesse daran haben, an den offiziellen Daten zu zweifeln? Sie sind doch ganz nützlich.
    Natürlich wissen die Profis ganz genau, dass die reale Inflation wesentlich höher ist. Daher jagen sie ja auch seit Jahren wie der Teufel hinter der armen Seele höheren Renditen für ihre eigenen Finanzanlagen hinterher, um diese echte Inflationsrate zu schlagen oder zumindest auszugleichen. Warum hatten wir denn in den letzten Jahren die Forderungen nach immer höheren »Eigenkapitalrenditen« (das ist die Rendite, die auf das eigene eingesetzte Geld anfällt) bei den Unternehmen? Erinnern Sie sich? Josef Ackermann forderte für die Deutsche Bank im Jahr 2005 eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent vor Steuern. Dafür war man auch bereit, trotz Milliardengewinnen Mitarbeiter zu entlassen. Die Leute haben sich an den Kopf gefasst. Aber Ackermann hat es geschafft. Selbst wenn man die Steuern abzieht, hat die Deutsche Bank im Jahr 2006 20,4 Prozent Rendite erzielt, 2007 immerhin noch 18 Prozent. Da blieb nach der Inflation noch ein schönes Sümmchen übrig. Und wie sah das in den letzten Jahren bei Ihnen aus, lieber Leser?
    Natürlich waren diese hohen Renditen nicht mit langweiligen Pfandbriefen und Mittelstandskrediten zu erzielen. Da musste schon etwas Kreatives her. Hohe Rendite heißt auch immer hohes Risiko. Aber wenn man die Inflation schlagen will … Da durfte es dann schon mal ein abenteuerliches Finanzvehikel mit amerikanischen Häuslebauern sein. Die Folgen dieser Renditegier können Sie in Ihrer Tageszeitung oder auf den folgenden Seiten dieses Buches nachlesen.

    Sinn oder Unsinn der täglichen Zahlenflut
    Ergänzend kommt hinzu, dass jede Woche eine Flut von Wirtschaftsdaten die Finanzmärkte überschwemmt. Viele Marktteilnehmer haben ohnehin längst jeden Überblick verloren. Einige Eifrige bemühen sich, in diesem Meer von neuen Daten irgendwie den Kopf über Wasser zu halten, zu erkennen, welche Daten gerade wirklich wichtig sind, und dann auch noch zu verstehen, wie das jeweilige Ergebnis zu interpretieren ist, bevor oft schon Minuten später die nächste »wichtige« Kennziffer über sie hereinbricht. Da kommen Erstanträge auf Arbeitslosenzahlen der USA, gefolgt von der ersten Schätzung des Bruttoinlandsprodukts der USA, bevor Minuten später der »Zottelbärenindex« wieder alles über den Haufen wirft.
    Der Begriff »Zottelbärenindex« ist volkswirtschaftlich nicht ganz korrekt und geht auf meinen hochgeschätzten Kollegen Rolf B. zurück, der den »University of Michigan Verbrauchervertrauensindex« stets mit den liebevollen Worten begrüßte: »Was wollen die langhaarigen Zottelbären von der Uni Michigan mir heute wieder erzählen?« Die Marktteilnehmer haben in der Masse längst aufgehört zu hinterfragen, was hinter der einen oder anderen gemeldeten Zahl wirklich steckt. Kaum jemand weiß, wie diese Zahlen erhoben werden, ob sie der Realität entsprechen oder ob sie in irgendwelchen Hinterzimmern von Eigenbrötlern mit dicken Brillengläsern und unerfülltem Liebesleben zusammengeschraubt werden.
    Ich gehe sogar noch
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