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Crash

Crash

Titel: Crash
Autoren: J. G. Ballard
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und vibrierten gegen das Glas. Die Kette ihrer Körper bildeten eine blaue Grenze zwischen mir und dem Verkehr auf der Schnellstraße. Ich schaltete den Scheibenwischer ein, doch die Wischblätter glitten durch die Fliegen hindurch und störten sie nicht weiter. Vaughan lag auf dem Sitz neben mir, seine offene Hose war bis an die Knie hinabgestreift. Die Fliegen krochen in dicken Klumpen über seine blutverschmierte Brust und labten sich an seinem bleichen Magen. Sie bildeten einen Keil von Schamhaaren, der von seinen schlaffen Hoden bis zu den Narben über seinem Diaphragma reichte. Die Fliegen waren auch über Vaughans Gesicht, sie schwebten über Mund und Nasenlöchern und schienen auf die ranzigen Liköre zu warten, die man aus dem Körper einem Leiche destillieren konnte. Vaughans Augen alle rdings waren offen und lebendig, er betrachtete mich mit ruhigem Blick, während er dalag. Ich wollte die Fliegen von seinem Gesicht streichen, denn ich stellte mir vor, daß sie ihn stören würden, doch dann stellte ich fest, daß auch meine Hände und Arme, wie das gesamte Wagen innere, von Insekten bedeckt waren.
    Lenkrad und Armaturenbrett erwachten unter dem Ansturm diesem retinalen Brigade fast zum Leben. Ich achtete nicht auf Vaughans erhobene Hand und öffnete die Fahrertür. Vaughan wollte mich aufhalten. Er hatte das erschöpfte Gesicht zu einer warnenden Grimasse verzogen, zu einem Riktus von Aufgeschrecktheit und Sorge, als fürchtete er sich vor dem, was ich im Freien finden könnte. Ich trat auf den Straßenbela g und strich mechanisch die Splitter opti scher Täuschungen von meinen Händen und Armen. Ich hatte eine verlassene Welt betreten. Die Steinchen auf der Straße schnitten unangenehm in meine Schuhsohlen. Wahrscheinlich waren sie als Folge eines Wirbelsturms hierher gelangt. Die Betonwälle der Überführung waren ausgelaugt und grau und erinnerten an einen Zugang zur Unterwelt. Die Autos, die sich über mir die Straße entlangplagten, hatten ihre Lichtgarben verschossen und erinnerten an die abgelegten Instrumente eines flüchtigen Orchesters.
    Doch nachdem ich mich umgewandt hatte, formte das Sonnenlicht hinter den Betonpfeilern der Überführung einen Würfel intensiven Lichts. Es war, als stünde die Betonoberfläche in Flammen. Ich war ganz sicher, daß diese weiße Rampe ein Teil von Vaughans Körper war, ich aber eine der darauf krabbelnden Fliegen. Da ich Angst davor hatte, mich an der glühenden Oberfläche zu verbrennen, wagte ich keine Bewegung, sondern plazierte nur mit Mühe die Hände gegen meine Schädelplatte, um das weiche Hirngewebe in seiner Form zu halten.
    Dann erlosch das Licht urplötzlich. Vaughans Wagen versank in der Dunkelheit unter der Brücke. Alles war wieder öde geworden. Luft und Licht waren ausgelaugt. Ich trat auf die Straße und entfernte mich vom Wagen, doch Vaughans unsicher ausgestreckte Hand entging mir nicht. Ich ging an der Palisade entlang zum unkrautüberwucherten Eingang des Schrottplatzes. Die Wagen auf der Schnellstraße über mir bewegten sich wie motorisierte Wracks, deren Lack stumpf und glanzlos geworden war. Ihre Fahrer saßen steif hinter den Lenkrädern und überholten Flughafenbusse voller bedeutungslos gekleideter Schaufensterpuppen.
    In einer Nische unter der Überführung lag ein verlassenes Auto auf den Achsen, Motor und Reifen waren entfernt worden. Ich öffnete die Tür in ihren rostigen Scharnieren. Konfetti aus Glassplittern bedeckte den Boden und den Beifahrersitz. Dort blieb ich während der nächsten Stunde sitzen und wartete auf das Abflauen des Acid in meinem Körper. Ich saß zusammengekauert vor dem schlammbespritzten Armaturenbrett, preßte die Knie gegen den Brustkorb, spannte die Muskeln von Waden und Unterarmen an und bemühte mich, die letzten Mikrotröpfchen dieser irrsinnigen Droge aus meinem Körper zu pressen.
    Die Termiten waren verschwunden. Die Lichtwechsel wurden unregelmäßig, die Luft über den Straßen beruhigte sich wieder. Die letzten silbernen und goldenen Strahlen fielen in die Wracks auf dem Schrottplatz zurück. Die fernen Gestade der Schnellstraßen erhielten wieder ihr gewohnt verschwommenes Aussehen. Gereizt und erschöpft öffnete ich die Tür und stieg aus dem Wagen aus. Die Glassplitter auf dem Boden schimmerten wie weggeworfene Münzen.
    Irgendwo wurde brüllend ein Motor angelassen. Als ich aus der Nische wieder auf die Straße trat, sah ich nur aus den Augenwinkeln ein schweres schwarzes Fahrzeug auf
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