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Couchgeflüster

Couchgeflüster

Titel: Couchgeflüster
Autoren: Mira Becker
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aktuell. Leider gibt es aber auch diese berühmten Ausnahmen von der Regel, wie ich heute erkannt habe.
    Jetzt muss ich mich aber wirklich zusammenreißen! Neun Schülerinnen warten auf mein Kommando.
    «Tief ausatmen   … langsamer Übergang in den aufrechten Sitz.»
    Ein Glück, dass dies hier ein Kurs für Fortgeschrittene ist und ich nur wenig erklären muss. Dennoch, so zerstreut wie heute habe ich schon lange nicht mehr unterrichtet. Nur gut, dass die Stunde gleich vorbei ist. Dann ist sowieso Schluss für heute.
    Die letzten Töne der Entspannungsmusik verklingen. Langsam erheben wir uns, ziehen im aufrechten Stand ein Bein an, stützen den Fuß am Oberschenkel ab, nehmen die Arme für eine bessere Balance zur Seite und verweilen in der Baumstellung.
    Nach einigen tiefen, gleichmäßigen Atemzügen lege ich die Hände vor der Brust aneinander und beende die Übung. «Namaste.»
    Es folgt eine kleine Verbeugung, dann verabschiede ich mich mit einem philosophischen Gedanken für den Tag: «Die Eile ist der Feind der Klugheit.»
    Am Ende der Stunde eine Art Botschaft zu formulieren ist ein Ritual, das ich eingeführt habe, um meinen Unterricht von den kommerziellen Studios abzugrenzen. Yoga bedeutet ja nicht nur körperliche Übungen. Es schärft auch den Geist und harmonisiert das Gemüt.
    «Namaste», erwidert die Gruppe den Gruß. Zufriedene Gesichter blicken mich an. Dann schnappen sich meine Schüler ihre Handtücher und eilen zu den Duschen.
    Auch ich fühle mich ungeachtet meiner wirren Überlegungen entspannt – zumindest körperlich. Mein gedankliches Abschweifen scheint unbemerkt geblieben zu sein.
    «Wie hat es dir gefallen, Ellen?», spreche ich die Neue im Rausgehen an.
    «Ja   … ganz gut», antwortet sie zögernd und streicht sich eine aschblonde Haarsträhne aus der flachen Stirn. «Aber vielleicht brauche ich doch mehr Power, um den Babyspeck loszuwerden. Nach der dritten Geburt ist das Gewebe ziemlich ausgeleiert, und der Speck sitzt wie zementiert auf den Problemzonen. Weißt schon, hier   …» Demonstrativ kneift sie sich an Bauch und Po und rollt verzweifelt mit den Augen.
    Seltsam. Sie müsste doch während der Stunde gemerkt haben, dass Yoga nicht nur bedeutet, sich auf der Matte herumzurollen. Wenn sie die einzelnen Übungen genau ausgeführt hätte, wäre sie jetzt schweißgebadet. Ich sehe aber nicht das kleinste Schweißtröpfchen auf ihrer hellen Haut. Offensichtlich hat sie sich nicht genügend angestrengt.
    «Schon klar», stimme ich ihr sanft lächelnd zu. «Mit drei Kindern bist du ein ganz anderes Tempo gewohnt. Gegen Babyspeck kann ich dir den Rückbildungskurs empfehlen. Der konzentriert sich speziell auf diese Partien. Ich kann dir versprechen, dass du danach außer Atem bist   … Draußen im Vorraum am Empfangstresen liegt der neue Stundenplan. Einen Mutter-Kind-Kurs werde ich demnächst übrigens auch abhalten.»
    «Mmm», nuschelt Ellen mäßig interessiert und verschwindet Richtung Umkleide. Im Vorraum sehe ich aber, wie sie tatsächlich nach einem Plan greift.
    «Hat mich gefreut, dass du mitgemacht hast», rufe ich ihr nach und sehe plötzlich drei imaginäre Babys an ihren wohlgerundeten Hüften hochklettern. Vielleicht sollte sie ihren Speck lieber behalten. Da würden die süßen Kleinen doch viel gemütlicher sitzen als auf knochendürren Modelhüften.
    «Hat sie gemeckert?»
    Britta, meine beste Freundin, steht unvermittelt neben mir und sieht mich besorgt an. Sie sorgt sich oft – nicht nur um mich. Meistens sind es hochsensible Schauspieler, um die sie sich als Chefin ihrer erfolgreichen Casting-Agentur kümmert. Das Umsorgen und das Kümmern liegen in ihrer Natur. Sie ist einfach der mütterliche Typ mit großem Herzen und großer Figur. Britta selbst bezeichnet sich gern als X L-Beauty . Und mit ihren halblangen, brünetten Haaren, den blauen Augen, dem vollen Mund und dem ebenmäßigen Gesicht ist sie in meinen Augen tatsächlich eine umwerfendene Schönheit – auch ohne Modelmaße.
    «Nee, wieso sollte sie meckern?», frage ich irritiert und zwirble verlegen eine Haarsträhne um meinen Zeigefinger, während wir aus dem Trainingsraum schlendern.
    Britta wischt sich den Schweiß aus ihrem üppigen Dekolleté. «Na ja, mir ist aufgefallen, dass du heute nicht ganz bei der Sache warst. Und du zupfst mal wieder an deinen Haaren. Du hast doch was!»
    Mist, sie hat’s bemerkt. Leugnen hat keinen Zweck. Britta besitzt nicht nur hypersensible
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