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Coruum Vol. 1

Coruum Vol. 1

Titel: Coruum Vol. 1
Autoren: Michael R. Baier
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Wiederholung der täglichen sintflutartigen Niederschläge, aber Pete war sich sicher, dass er auch in dieser Nacht wieder ein eindrucksvolles Gewitter der einsetzenden Regenzeit erleben würde.
    Er war am Morgen mit seinen Studenten unter der Führung von Sinistra aus ihrem Hotel in Flores zu der eintägigen Besuchstour nach Tikal aufgebrochen. Sie hatten für die Herfahrt mit dem klapperigen Bus fast zweieinhalb Stunden benötigt. Das war eine Stunde mehr als gewöhnlich und den unverhältnismäßig starken Regenfällen der letzten Tage zu verdanken. Die Schotterpiste, die hier den stolzen Namen Hauptstraße trug, war auf weiten Strecken aufgeweicht und teilweise auch überschwemmt gewesen.
    Tikal lag im guatemaltekischen Bundesstaat Petén, dem zweitgrößten Regenwaldgebiet auf dem amerikanischen Kontinent. Obwohl sie bereits vor dem Morgengrauen losgefahren waren, hatten sie viel Zeit verloren und waren bei weitem nicht die ersten Besucher bei den Ruinen der vor gut eintausendeinhundert Jahren untergegangenen Stadt gewesen.
    Die Kalksteinstufen der Tempelpyramiden waren im Laufe der Jahrhunderte zum Teil stark verwittert und es bedurfte des Geschicks einer Bergziege und hoher Konzentration, um die Kletterei hinauf – und vor allem wieder herunter – heil zu überstehen. Seine Beine hatten am Nachmittag leisen Protest angemeldet, noch weitere Strukturen zu erklimmen, und so hatte er sich der Mundo Perdido zugewandt – mit dem bekannten Ergebnis.
    Ihre junge Führerin hatte die Ersteigung der westlichen Tempelpyramide, des Tempels der Masken, gleich als Erstes nach ihrem Eintreffen vorgeschlagen. Ihr bildhaft, von der in knapp fünfzig Metern Höhe über dem Dach des Regenwaldes liegenden Altarplattform, gehaltener Einführungsvortrag über Tikal hatte die Ruinen und die großen Plätze in ihren Köpfen wieder zum Leben erweckt.
    Pete und die Studenten hatten einen ausgezeichneten Ausblick über das gesamte Areal der Stadt gehabt, die in ihrer zweiten Blütezeit um 700 nach Christus auf einer Fläche von mehr als fünfzig Quadratkilometern weit über fünfzigtausend Einwohner beherbergte und in der auch die beiden Tempelpyramiden, die das heutige Wahrzeichen der Mayakultur bilden, von Yik’ In Cham K’awiil, dem Sohn des Königs Jasaw Chan K’awiil als Beerdigungsstätten für seine Eltern erbaut wurden.
    Eine Besonderheit in der Geschichte von Tikal war das Ende der ersten Blütezeit der Stadt im Jahr 562, wo es der benachbarten, feindlichen Metropole Calakmul zum ersten Mal gelang, aus bis heute ungeklärten Gründen, Tikal zu erobern.
    Pete kannte die Diskussionen um einen wirtschaftlichen Kollaps, ohne ihn wirklich überzeugend zu finden. Für ihn war die Argumentation eines Zusammenbruchs der Nahrungsmittelversorgung infolge der intensiven Landwirtschaft, gefolgt oder begleitet durch lang anhaltende, verzehrende Kriege gegen Nachbarkönigreiche, nicht schlüssig. Wie konnte eine über Jahrtausende auf Landwirtschaft spezialisierte Kultur von zurückgehenden Bodenerträgen überrascht werden? Das geschah schließlich nicht von heute auf morgen.
    Die Pyramide der Masken, wie die Tempelpyramide II auch genannt wurde, lag fast im Zentrum des ausgegrabenen Tikal. Sie wurde eingerahmt von der Struktur Mundo Perdido im Südwesten, welche die ältesten Gebäude Tikals beherbergte, dem Tempel IV im Nordwesten, der Nordakropolis im Norden und der Gruppe G oder dem Palast der senkrechten Riefen im Süden, benannt nach der prägnanten Verzierung der Palastaußenwände.
    Am gegenüberliegenden Ende des Großen Platzes, am südlichen Rand der östlichen Tempel-Pyramide, befand sich der ausgegrabene Ballspielplatz. Die Hauptmerkmale der Maya-Ballspielplätze waren ihre Zielsteine, den heutigen Toren entsprechend, nur mit dem Unterschied, dass es sich entweder um in den Boden eingelassene Steinscheiben von knapp einem Meter Durchmesser oder um massive, mit reichen Verzierungen versehene Steinringe handelte, welche in zwei bis drei Metern Höhe an den gemauerten Seitenwänden der Ballspielplätze befestigt waren.
    Die Abgrenzung der Spielfelder erfolgte üblicherweise durch Mauern oder Treppen, welche gleichzeitig als Sitzfläche fürs Publikum dienten und die oft fließend in die Architektur angrenzender Bauten übergingen.
    Pete holte seine Gedanken zurück. Dies war die beste Aussicht, die Tikal zu bieten hatte, und sie erleichterte die Orientierung für die anschließenden Besichtigungen des restlichen Tages.
    Seit
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