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Coq Rouge

Coq Rouge

Titel: Coq Rouge
Autoren: Jan Guillou
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hatte überhaupt keine Miene gerührt. Was war ihm in diesen letzten Augenblicken seines Lebens durch den Kopf gegangen?
    Hatte er bei Carl auf einen kleinen Anflug von Unsicherheit gewartet, der ihn dazu gebracht hätte, sich zur Seite zu werfen, um gleichzeitig die Waffe zu heben und Schnellfeuer zu schießen? Oder hatte er sich die Konsequenzen überlegt, wenn man ihn am Tatort lebend faßte?
    »Er hat einen Schuß abgegeben. Aber das war in dem Moment, in dem er nach meinem Treffer zurückgeschleudert wurde. Was zum Teufel soll ich in meinem Bericht darüber schreiben?« fragte Carl.
    »Schreib, daß er zu schießen versuchte und daß du erst dann das Feuer eröffnet hast. Sonst wird Näslund sich rächen, sonst wird es ein schweres Dienstvergehen und schlimmstenfalls Totschlag und kommt zu einer Anklage durch K. G. Jönsson. Diese Freude solltest du ihnen nicht machen.«
    »So wie ich aber geschossen habe, kann es sich also um eine Art Mord handeln. Aber wenn er sich vorher ein bißchen gerührt hat, ist alles in Ordnung?«
    »In etwa.«
    Carl setzte sich an seine Schreibmaschine. Daneben lag auf dem Schreibtisch ein dünner Stapel Formulare, die Fristedt besorgt hatte.
    »Ich habe mir gedacht, ich kann dir ein bißchen helfen, damit alles stimmt«, erklärte Fristedt freundlich. »Wir haben gegen ziemlich viele Bestimmungen verstoßen, um ans Ziel zu kommen, aber ich habe mir gedacht, ich sollte dir bei den Berichten helfen, falls du verstehst, was ich meine.«
    Carl verstand sehr wohl. Er mußte in mindestens vier Punkten lügen oder die wahren Verhältnisse verschweigen.
    Er hatte sich die entscheidenden Informationen in Israel besorgt, und zwar gegen strikten Befehl auf private Initiative, während er sich krankgemeldet hatte, und außerdem durfte er unter gar keinen Umständen seine Quelle verraten.
    Er hatte den Computercode des Sicherheitsdienstes durchbrochen und das Schutzsystem umgangen.
    Er hatte einen Festgenommenen mit dem Tod bedroht und mißhandelt.
    Er hatte getötet, ohne angegriffen worden zu sein.
    »Das ist doch Wahnsinn«, sagte er. »Im Grunde bin ich eine Art Verbrecher.
    Ich nehme an, daß man mich vor Gericht stellen könnte?«
    »O ja. Während Näslund diesen Aharon Zamir laufen läßt. Man wird gar nicht fröhlich, wenn man daran denkt. Aber es spielt ja keine Rolle mehr.
    Du kannst dich wenigstens damit trösten.«
    »Wieso? Warum spielt es keine Rolle? Es ist doch eine Schweinerei, daß der letztlich verantwortliche Mann davonkommt, während wir die Hände in den Schoß legen?«
    »Ja, so kann man es sehen. Aber nimm mal an, du und ich gingen jetzt zum Park Hotel und schnappten ihn uns und würden ihn hier oben einbuchten.«
    »Ja, warum denn nicht?«
    »Wer würde ihn vorläufig festnehmen und aus welchem Grund? Wie sollen wir beweisen, daß er der Chef dieser Gruppe ist? Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß so einer Beweismaterial bei sich hat. Vielleicht besitzt er sogar diplomatische Immunität, und dann wird es zu einer Angelegenheit, die über unsere einfachen Köpfe hinweg entschieden wird. Nein, vergiß ihn und denk lieber ein bißchen an dich selbst.«
    »Habe ich recht gehandelt?«
    Es mußte Carl deutlich anzusehen sein, welchen besonderen Zweck seine Frage hatte. Fristedt antwortete ruhig und ohne zu zögern.
    »Ja, du hast richtig gehandelt. Dieser Mörder hat bekommen, was er verdient hat, um mal damit anzufangen.«
    »Aber so kann man doch nicht argumentieren?«
    »Nein, so kann man nicht argumentieren. Aber zweitens hättest du selbst dagelegen, wenn du nicht gehandelt hättest. Wir wissen ja trotz allem eine ganze Menge über das Verhalten dieses Mannes. Mach dir deswegen aber keine Sorgen mehr, versuch es jedenfalls. Jetzt wollen wir eine Zeitlang schön lügen.«
    »Eigentlich … warum müssen wir so verdammt lügen, warum sind wir ständig gezwungen gewesen, hinter dem Rücken unserer Bosse zu arbeiten?
    Man könnte verrückt werden, wenn man näher darüber nachdenkt.«
    »Ja, es ist wirklich Wahnsinn. Obwohl wir richtig gehandelt haben. Sonst wären sie davongekommen. Näslund hätte Libyen die Schuld gegeben. In den nächsten sechs Monaten wäre hier in der Stadt der Teufel los gewesen, und es wären noch mehr Menschen gestorben. Und außerdem haben wir am Ende den Mörder bekommen. Das ist es, was wir richtig gemacht haben, Carl. Vergiß das nicht. Wir haben richtig gehandelt.«
    »Und trotzdem falsch. Wir haben die falschen Menschen gejagt, nur zum
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