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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Szameit
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hinaus
geht?”
    Hyazinth schüttelt automatisch
den Kopf. Der Exarch hat in eben jenem Ton gefragt, den er einst als Oberster
Kindschafter anschlug, wenn er dem Prüfling seine Gabe beweisen wollte, dessen
Unfähigkeit treffsicher vorauszusehen.
    “Na gut, gehen wir weiter.”
Korund Stein nickt resignierend und brummt noch irgendetwas Unverständliches.
    “Laß ihn doch, er muß es nicht
erfahren”, bittet Sirrah noch einmal. “Du wirst ihm weh tun! Er ist im Glauben,
in der tiefen Überzeugung von der moralischen Unantastbarkeit der Lehre
aufgewachsen. Er war fähig, an diese Ideale zu glauben, weil er zu den wenigen
Menschen gehört, die nach solchem Ideal wirklich leben könnten, begreifst du
das nicht? Ihr müßt doch irgendwann einmal daran denken, daß ihr mit dieser
Lehre einen wirklichen Vorschlag in die Welt gesetzt habt, eine Idee, es ganz
anders zu machen, als alle Jahrtausende vor uns. Und es gibt überall Bürger,
denen die hohe Menschlichkeit der Lehre Kraft genug gab, das Tier in sich
selbst abzutöten, die jetzt verwirklichen wollen, was sie als gut und
erstrebenswert erkannt haben. Zerstöre ihm nicht den Traum, der sein Leben
ist!” Sirrah hat mit zunehmender Heftigkeit geredet.
    “Er hat ihn selbst längst
zerstört.” Der Erste Exarch lacht kurz auf. “Hyazinth hat den Apfel genommen
und hineingebissen, statt sich mit Gehorsam und Duldsamkeit in ein
paradiesisches Dasein zu fügen. Seit er sprechen kann, schleicht er um den Baum
der Erkenntnis herum, springt nach dessen Zweigen, um sich Früchte herunter zu
reißen – nun soll er auch vom Baum des Ewigen Lebens kosten und sehen, daß
Paradies und Hölle denselben Herrscher haben, Aspekte ein und derselben Sache
sind!”
    “So willst du ihn haben, das
wußte ich schon damals!” Sirrah hat es beinahe mit Haß ausgestoßen. “Aber so
wird er nie werden!”
    “Warten wir ab”, Korund Stein
grinst hämisch, “die Natur des Menschen kenne ich besser als irgendetwas auf
dieser Welt…”
    Hyazinth folgte dem Streit
aufmerksam, wurde aber nicht klug daraus. Ein merkwürdige Gefühl ist geblieben,
eine sich verstärkende Ahnung. Noch drängt er sie zurück.
    Der nächste Besichtigungsort
unterscheidet sich von den vorhergehenden deutlich.
    “Ein Zyklotron!” ruft Hyazinth
erstaunt aus. So etwas hat er das erste Mal in Szingold gesehen.
    “Ja, hier wird unter anderem auch
mit allen möglichen Strahlen gearbeitet. Du hast gut aufgepaßt in der Fremde.”
Korund Stein lächelt zweideutig. Der in eine rostrote Kombination gekleidete
Führer jedoch flüstert dem Exarchen hastig einige Wort zu und deutet auf
Hyazinths Hüfte. Der Exarch lacht laut und sagt: “Keine Sorge, mein Bester,
dieser junge Mann darf seine Waffe überall tragen, solange er meint, sie nötig
zu haben. Aber deine Aufmerksamkeit verdient Anerkennung, ich befördere dich
zum… was bist du?… also zum Bewirker Dritten Grades.” Und zu Hyazinth gewandt:
“Er hat sofort gemerkt, daß du außerhalb von Weltenstein gewesen sein mußt.
Oder ist dir bewußt gewesen, daß du in der Märtyrerschule nie etwas über
Atomphysik gehört hast, als du dein Entzücken über diesen Beschleuniger kundtatest?
Siehst du. Er kennt jeden – wirklich jeden! – Märtyrer, dem die hohe Ehre
gewährt wurde, diesen außergewöhnlichen Zweig der Physik studieren zu dürfen.
    Die Beförderung hat er sich
ehrlich verdient…”
    Hyazinth nickt abwesend, er
konnte dem kurzen Gespräch nur oberflächlich folgen, da er immer noch über das
nachdachte, was ihm vorher erklärt wurde.
    In diesem wissenschaftlichen
Bereich geht man das Problem des Alterns also von einer ganz anderen Seite an:
Ausgehend von der Erkenntnis, daß das Altern durch genetische Veränderungen
ausgelöst wird, die praktisch den Zerstörungsbefehl geben, hat man nach den
physikalischen Ursachen gesucht und entdeckt, daß dieser Vorgang durch ein
Absinken des elektrischen Potentials innerhalb der Zellen in Gang gesetzt wird.
Und hier wird nach Möglichkeiten geforscht, dieses Potential von außen zu
erhalten. Man sei ganz dicht vor der Lösung, hat der Mann gesagt.
    Das ist doch alles großartig! Was
hat Tante Sirrah nur?! Ganz offensichtlich ist diese Geheimabteilung der
Gesundheitswache damit beschäftigt, den Weg zur echten, physischen
Unsterblichkeit des Menschen zu suchen.
    Auf einmal ist es Hyazinth, als
würde eine gewaltige, hell leuchtende Sonne in seinem Denken aufflammen. Aber
natürlich! Korund Stein weiß längst,
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