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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Szameit
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Brutkammern in den Lebensquellen, und
er fragte sich erstaunt, was Sirrah daran so spektakulär findet. Das weiß doch
jeder Märtyrerschüler, daß in Weltenstein Menschen nicht auf natürlichem Wege
geboren werden, daß dies sogar strikt verboten ist.
    Aber der Mann erzählt etwas ganz
anderes.
    “Im Hypothalamus, einem Teil des
Zwischenhirns, der unter anderem das Immunsystem reguliert, werden
gewissermaßen Verjüngungsstoffe produziert. Diese Fähigkeit verliert der
Organismus älterer Individuen. Wir haben nun versucht, Hypothalamusgewebe
jüngerer Gehirne in das Zwischenhirn älterer Menschen einzupflanzen. Dabei
stellte sich heraus, daß die Zellen erwachsener beziehungsweise adulter
Menschen abgestoßen, die Neugeborener als Transplantat ohne Abwehrreaktionen
angenommen werden. Bei allen Testpersonen, die mit Transplantaten Neugeborener
oder von Embryonen behandelt wurden, zeigten ich deutliche
Verjüngungserscheinungen. Vor allem die Immunaktivität der Milz hatte sich
erhöht und der Thymus, die Wachstumsdrüse, wurde reaktiviert.
Skelettdeformationen bildeten sich zurück, die Epidermis regenerierte sich
vollständig. Wir werden die Methode schon bald in die klinische Praxis
einführen. Aber am besten wird es sein, ich demonstriere das Verfahren. Bitte
folgen Sie mir!”
    Der Mann öffnete eine der Röhren,
durchtrennte mit einem Skalpell die Nabelschnur des Embryonen und legte das
zuckende Menschlein auf einen weißgefliesten Tisch.
    Als er mit einem speziellen
Instrument, das einer miniaturisierten Handkreissäge ähnelt, den Schädel
öffnet, schreit Hyazinth erschreckt auf.
    “Aber das ist doch ein Mensch!”
    “Beruhigen Sie sich, junger Mann.
Das ist noch kein Mensch, das ist nur eine Vorstufe, gewissermaßen der Lehm,
aus dem Gott seine Geschöpfe formt.”
    “Aber er hat Arme, Beine, Kopf
und Augen und… und es bewegt sich!”
    Die kleine Säge frißt sich
knirschend und kreischend durch den Knochen. Der Mann wirft dem Exarchen einen
schnellen, fragenden Blick zu. Korund Stein nickt beruhigend.
    “Wir beschränken uns aus
ethischen Gründen auf Embryonen, obgleich die Ausbeute bei Neugeborenen ungleich
höher ist –”
    “Also habt ihr es auch schon bei
Neugeborenen getan!”
    Der Mann verzieht unwirsch das
Gesicht.
    “Junger Mann, der Fortschritt
fordert hin und wieder kühne Taten, die anderen als fragwürdig erscheinen
mögen. Wir haben für solche Experimente nur Individuen mit irreparablen
Gendefekten verwendet. Natürlich halten wir gewisse Normen ein, richten uns
nach den Leitsätzen der Lehre von der Großen Umkehr, beachten sorgfältig…”
    Während der Mann redet, starrt
Hyazinth unverwandt auf die kleine Säge. Feine Blutfäden laufen am nackten
Schädel des Embryonen herab, Knochensplitter spritzen unter dem Sägeblatt
hervor. Das Geräusch der Säge klingt wie das schrille Kreischen einer
Plasmaladung. Plötzlich sieht er wieder Rutila vor sich, über deren Bauch sich
eine rußschwarze Blase bläht und zerplatzt. Er sieht die blutigen Fetzen ihres
Leibes gegen die Korridorwand klatschen und den hellroten Blutstrahl, der aus
ihrem Mund sprudelte.
    Sein Mageninhalt schießt so
heftig durch die Gurgel, daß er keiner Reaktion fähig ist. Er bemerkt noch, wie
der Wissenschaftler den schlaffen Embryokörper in einen Abfalleimer wirft, dann
übergibt er sich mit weit vorgerecktem Kopf, breitbeinig über die weißen
Fliesen gebeugt.
    Als er endlich glaubt, es
überstanden zu haben, beginnt der Boden unter seinen Füßen nachzugeben.
Hyazinth rudert haltsuchend mit den Armen und stürzt in die bunten Kringel
einer tiefen Ohnmacht.

 
    Zuerst spürt er Sirrahs Hand, die
unaufhörlich seine Wangen tätschelt, dann hört er die Stimmen.
    “Du siehst es! Er wird deine
Menschenversuche nie akzeptieren. Weshalb hast du damals nicht auf Proteus
gehört, er wußte –”
    “Proteus! Immer wieder Proteus!
Begreife endlich, daß Proteus einziges Ziel die Spitze des Kegelturms war. Alle
seine schönen Reden von Humanismus und Gerechtigkeit waren Heuchelei. Von
Humanismus schwafeln immer nur die Schwachen, die Machtlosen.”
    “Aber Proteus hat gewußt, daß
Copyworld   nur funktionieren kann, wenn
die produzierende organische Komponente ungleich größer ist als die
konsumierende. Er hat dich gewarnt.”
    “Bah! Meinst du, ich hätte das
nicht mindestens ebensogut gewußt? Natürlich benötigt Copyworld   Milliarden von Gehirnen, damit einige hundert
oder tausend Angehörige der von
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