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Coolman und ich. Bonjour Baguette (German Edition)

Coolman und ich. Bonjour Baguette (German Edition)

Titel: Coolman und ich. Bonjour Baguette (German Edition)
Autoren: Rüdiger Bertram
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meine Mutter vor Schreck auf, und der Wagen macht einen Hüpfer, weil wir irgendetwas überfahren haben. Ich hoffe nur, es ist keiner von den Gastschülern, denn das würde bestimmt zu diplomatischen Verwicklungen führen.
    Wenn wir Glück haben, war es nur eine alte Radkappe oder ein Ziegelstein, der von einem Lastwagen gefallen ist, oder ein ...
    »Ein Kaninchen«, sagt mein Vater, der aus dem Auto gestiegen ist, um nachzusehen. Er kniet neben dem Wagen und versucht, das arme Tier darunter hervorzuziehen.
    Das Kaninchen hat ein rosa Halsband und ist braun-weiß gefleckt, oder sollte ich besser sagen: Es war braun-weiß gefleckt. Obwohl: Braun-weiß gefleckt ist es ja immer noch, nur dass es jetzt eben tot ist. Mausetot, oder treffender ausgedrückt: kaninchentot.
    Ich habe einen dicken Kloß im Hals, und meinem Vater und meiner Mutter geht es anscheinend genauso. Zu dritt stehen wir trauernd um den leblosen Körper herum, der auf der Straße liegt. Es sieht nicht aus wie ein wildes Kaninchen, dem keiner eine Träne nachweint. Es sieht eher aus wie ein Kaninchen, das von einem Kind liebevoll jeden Tag gekämmt und gefüttert wurde.
    »Was machen wir jetzt, Schatz?«, fragt meine Mutter, die sich als Erste wieder gefangen hat.
    »Verbuddeln«, erwidert mein Vater mit belegter Stimme. »Ganz schnell verbuddeln!«

    Ich ignoriere COOLMANs Vorschlag und folge meinem Vater. Er hat aus dem Kofferraum eine kleine Schaufel geholt. Damit will er auf dem Grünstreifen ein Grab ausheben. Zum Glück sind auf der Straße keine Leute unterwegs, denen wir erklären müssten, was wir hier machen.
    Drei mögliche Ausreden, falls doch jemand vorbeikommt:
    1) Wir haben von der Stadt eine Lizenz erworben, um hier nach Öl zu graben.
    2) Wir sind Archäologen und buddeln nach dem Heiligen Gral.
    3) Unser Maulwurf ist weggelaufen, und wir suchen ihn überall.
    Es kommt aber keiner, und deswegen können wir das Kaninchen schnell in die Grube legen und mit Erde bedecken.
    »Sollten wir nicht noch was sagen? Irgendetwas Feierliches?«, fragt mein Vater.
    »Vielleicht ein Gedicht? Das wäre doch angemessen, nicht wahr, Kai?«, schlägt meine Mutter vor und legt eine kleine Butterblume auf das improvisierte Grab.
    Sie ergreift die Hand meines Vaters, und die beiden sehen mich erwartungsvoll an. Es würde mich gar nicht wundern, wenn sie sich jetzt auch noch küssen, so als Symbol, dass die Liebe den Tod besiegt und so weiter.
    Meine Eltern sind Schauspieler.
    Sie lieben dramatische Auftritte.
    »Armer kleiner Hase«,
    beginne ich, weil mir auf die Schnelle kein Reim auf Kaninchen einfällt.
    »Armer kleiner Hase,
    liegst nun unterm Grase.
    Bleibst ab jetzt für immer stumm,
    bitte nimm uns das nicht krumm.
    Im Hasenhimmel findest du
    deine letzte Hasenruh.
    Dort gibt ’ s jeden Tag Salat
    und sonntagmittags auch Spinat.«
    Danach singen wir zusammen noch »Häschen in der Grube«, aber nur den Refrain, weil keiner von uns den Rest des Textes kennt. Ich war noch nicht auf vielen Beerdigungen, trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass es eine Menge Menschen gibt, die kein so schönes Begräbnis bekommen.
    Den letzten Kilometer fährt mein Vater extrem vorsichtig. Aber weil wir sowieso schon viel zu spät sind, ist das jetzt auch egal. Rechts und links an der Straße kleben Wahlplakate. Bald wird der neue Bürgermeister gewählt, und der alte hat sein Foto mit dem originellen Spruch »Wählt mich« überall aufhängen lassen. Auf den meisten Plakaten hat jemand ein großes »ab« dahintergekritzelt, und das zeigt ganz gut, wie beliebt der jetzige Bürgermeister in Keinklagenstadt ist.
    Weil mein Vater so langsam fährt, erreichen wir die Schule, ohne dabei noch irgendjemanden zu überfahren. Auf dem Schulhof sitzen nur noch ein Junge und ein Mädchen auf ihrem Gepäck und warten. Dominiques olivgrüner Seesack ist voller politischer Parolen und Aufkleber, das kann sogar ich erkennen, obwohl ich kaum ein Wort Französisch spreche. Mit seinen schwarzen Haaren und der dunklen Haut sieht er ein bisschen so aus, als käme er aus Algerien oder Marokko, und irgendwie wirkt er überhaupt nicht so, als wenn Reiten, Shoppen, Tanzen und Partymachen zu seinen Hobbys zählen würden. Das beruhigt mich ein bisschen, denn eigentlich finde ich ihn auf den ersten Blick ganz sympathisch. Das Mädchen neben ihm ist braun gebrannt, trägt ein buntes Minikleid und dazu eine riesige Sonnenbrille. Auf ihren zehn Koffern kleben Aufkleber aus Hawaii, Miami, Dubai und
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