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Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Titel: Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
Autoren: Andrea Camilleri
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der Justiz für falsch befunden. Und umgekehrt. Was war also besser: mit dem Recht, wie es in den Büchern stand, oder mit dem eigenen Gewissen im Reinen zu sein?
    Nein, das würde Livia vielleicht nicht verstehen, und im Gespräch brachte sie ihn am Ende womöglich zu einem ganz anderen Ergebnis, als er eigentlich wollte.
    Er schrieb ihr besser einen Brief. Montalbano nahm ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber und fing an.
    Livia, Liebste,
    weiter kam er nicht. Er zerriss das Blatt und nahm ein neues.
    Meine über alles geliebte Livia,
    wieder ging nichts. Er nahm ein drittes Blatt.
    Livia,
    und der Kugelschreiber weigerte sich weiterzuschreiben.
    Nein, es war zwecklos. Er würde ihr alles beim nächsten Wiedersehen erzählen und ihr dabei in die Augen schauen.
    Nach dieser Entscheidung fühlte er sich ausgeruht, heiter und frei. Moment, dachte er. Die Aneinanderreihung dieser drei Adjektive, »ausgeruht, heiter und frei«, stammt nicht von dir, das ist ein Zitat. Aber woraus? Montalbano legte den Kopf in die Hände und dachte angestrengt nach.
    Dann war er – auf sein visuelles Gedächtnis konnte er sich verlassen – fast sicher. Er stand auf, ging ans Bücherregal und nahm Der Abbé als Fälscher von Leonardo Sciascia heraus. Da stand es, auf Seite einhundertzwanzig der ersten Ausgabe von 1966, die er als Sechzehnjähriger gelesen hatte; er hatte das Buch behalten, weil er es immer mal wieder lesen wollte.
    Es war die unglaubliche Stelle, wo Abate Velia beschließt, Monsignor Airoldi etwas zu verraten, was sein Leben erschüttern wird, dass nämlich die arabische Handschrift ein Schwindel war, eine von ihm selbst angefertigte Fälschung. Doch bevor er Monsignor Airoldi aufsucht, nimmt Velia ein Bad und trinkt einen Kaffee. Und er, Montalbano, stand ebenfalls an einem Wendepunkt.
    Lächelnd zog er sich aus und stellte sich unter die Dusche. Er zog sich frische Sachen an, inklusive Unterhose. Zur Feier des Tages wählte er eine gediegene Krawatte. Anschließend machte er sich Kaffee und trank ihn mit Genuss. Jetzt passten die drei Adjektive »ausgeruht, heiter und frei« genau. Es fehlte nur noch ein Adjektiv, das in Sciascias Buch nicht vorkam: satt.
    »Was darf ich Ihnen bringen, Dottore?«
    »Alles.«
    Sie lachten.
    Antipasto mit Meeresfrüchten, Fischsuppe, einen kleinen gekochten Kraken, angemacht mit Olivenöl und Zitrone, vier Meerbarben (zwei gebraten, zwei gegrillt), zwei gut gefüllte Gläschen eines hochprozentigen Mandarinenlikörs, auf den Wirt Enzo besonders stolz war. Der machte dem Commissario ein Kompliment.
    »Sie sehen ja wieder richtig gut aus.«
    »Danke. Tust du mir einen Gefallen, Enzo? Suchst du mir die Telefonnummern von Dottor Mistretta raus und schreibst sie auf einen Zettel?«
    Während Enzo das Gewünschte erledigte, trank Montalbano in aller Ruhe ein drittes Gläschen. Der Wirt kam und reichte ihm den Zettel.
    »In der Stadt gibt es ein Gerücht über den Doktor.«
    »Ach ja?«
    »Er soll heute Morgen zum Notar gegangen sein, weil er sein Haus verschenken will. Er zieht zu seinem Bruder, wo der doch jetzt Witwer ist.«
    »Weiß man denn, wem er das Haus schenkt?«
    »Keine Ahnung, anscheinend einem Waisenhaus in Montelusa.«
    Von der Trattoria aus rief er zunächst in Mistrettas Praxis und dann bei ihm zu Hause an. Es meldete sich niemand. Der Doktor war sicher zur Totenwache im Haus des Bruders. Und ebenso sicher war dort nur die Familie, ohne Polizisten oder Journalisten. Montalbano wählte. Es klingelte lange, bevor jemand abnahm.
    »Hier bei Mistretta.«
    »Montalbano. Sind Sie das, Dottore?«
    »Ja.«
    »Ich muss Sie sprechen.«
    »Wir könnten uns morgen …«
    »Nein.«
    »Sie möchten mich jetzt sprechen?« Die Stimme des Doktors klang ungläubig.
    »Ja.«
    »Ich finde Ihre Hartnäckigkeit zwar ziemlich unpassend, aber bitte. Sie wissen, dass morgen die Beerdigung ist?«
    »Ja.«
    »Wird das Gespräch lange dauern?«
    »Das kann ich nicht sagen.«
    »Und wo sollen wir uns treffen?«
    »Ich bin in spätestens zwanzig Minuten bei Ihnen.«
    Als er die Trattoria verließ, war das Wetter umgeschlagen. Vom Meer her zogen regenschwere Wolken auf.
    Letztes Kapitel
    Auf den ersten Blick lag die Villa gänzlich im Dunkeln, eine schwarze Masse vor dem nachtschwarzen, wolkenverhangenen Himmel.
    Als der Commissario ankam, stand Dottor Mistretta schon vor dem geöffneten Tor. Montalbano fuhr in den Hof und stieg aus, aber er wartete, bis der Doktor das Tor geschlossen hatte. Nur aus
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