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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Autoren: Yasmina Khadra
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Er ist ü-
    berzeugt, daß die Grundwerte allein von einem
    abhängen: dem Börsenbarometer. Daher bewegt
    der Tod eines Gelehrten, der Brand einer Biblio-
    thek oder der Mord an einem Künstler die Herzen
    sehr viel weniger als eine unprofitable Geldanla-
    ge.“
    „Wenn ich dich recht verstehe, soll ich jetzt wohl
    auch diesen Kurs einschlagen.“
    „Ganz und gar nicht. Genau hier trittst du ja auf
    den Plan.“
    „Als Spielverderber …“
    „Der Dichter ist kein Brandstifter, doch sein
    Kummer wirkt wie eine Katharsis. Dein Buch sagt
    die Wahrheit. Das zählt mehr als alles andere. Der
    ganze Rest: der Ärger, den du hast, die Anwürfe
    und Drohungen, kurz, das ganze wilde Gefuchtel,
    das du auslöst, das darf dich nicht einschüchtern.
    Dieser grauenhafte Krieg hat zumindest ein Gutes:
    Er reißt uns die Maske vom Gesicht. Erst vor uns
    selbst, dann vor der Welt. Jeder suhlt sich in sei-
    nem Element. Die Demagogen geifern vor Eifer,
    die Intriganten werfen alle Hemmungen über Bord,
    und die Aasgeier müssen nicht mehr so tun, als
    stamme das Fleisch ihrer Brüder, über die sie her-
    fallen, vom Metzger. Die Monster, die in uns ge-
    schlafen haben, stolzieren schamlos vor aller Au-

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    gen einher. Und über diesem ganzen stinkenden
    Morast, da schwebst du. Wie ein Gott, der seine Welt überblickt, es ist fabelhaft. Hättest du nicht gewagt, deine Wut und deinen Abscheu laut hi-nauszuschreien, hättest du dich geduckt, damit die-
    se Mistkerle ungestraft ihre Phantasien ausleben
    können, wäre ich furchtbar enttäuscht gewesen.“
    Plötzlich verfärben sich seine Hängebacken feu-
    errot.
    „Hör auf, wie ein getretener Hund dreinzuschau-
    en, Brahim, und zwar sofort. Oder kannst du mir
    unter den Tausenden von Opfern, mit denen die
    Wege unseres Wahnsinns gepflastert sind, auch nur
    eines nennen, das es verdient hätte, wie ein Tier
    abgeschlachtet zu werden? Kannst du mir in der
    ganzen Horde gottloser Kannibalen auch nur einen
    zeigen, der es wert wäre, daß man ihm verzeiht?
    Du hast dir nichts vorzuwerfen. Sie haben dich vor
    die Tür gesetzt, na und? Tausend andere Türen
    stehen dir offen, und meine zuallererst. Du hast
    deine Pflicht gewissenhaft erfüllt. Du warst erfolgreich! Diese Hurensöhne wissen das, deshalb zit-
    tern sie jetzt. Sie hielten sich für gerissener, sie dachten, es wäre ihnen das perfekte Verbrechen
    gelungen. Aber das Böse ist nie vollkommen.
    Vollkommenheit gibt es nur im Zusammenhang
    mit der Gerechtigkeit.“
    Er unterbricht sich, ist völlig atemlos, sinkt mit
    hervortretenden Augen und schäumenden Lippen
    in seinen Korbstuhl zurück. Während sein Bauch
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    sich heftig hebt und senkt, verliert sein Blick sich zwischen den Schaumkronen im Meer. Ich nehme
    weder das Kindergeschrei noch das Klatschen der
    Wellen wahr; ich höre allein das Quietschen des
    Schaukelstuhls, der aufs neue zu schwingen be-
    gonnen hat. Zwei Minuten schwebe ich in einer
    Luftblase, als hätte mir einer einen Schlag in den
    Nacken verpaßt, dann spüre ich wieder Bodenhaf-
    tung, unbestimmt erleichtert durch Da Achours
    Abgeklärtheit. Nehme plötzlich wachen Sinnes den
    Luftzug wahr, der sein Hemd leise bläht, den
    Schweiß, der um seinen Nabel perlt, den Schatten
    um seine Augen und dazu diese Unbekümmertheit,
    die von seinen schlenkernden Armen ausgeht und
    mich, als wär’s ein Zeichen, ermutigen will, die
    Dinge mit größerer Gelassenheit anzugehen.
    „Danke“, sage ich.

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    „Dein Pech, wenn du dich über meinen Besuch
    nicht freust!“ schleudert Dine mir entgegen und
    fährt wie ein Tornado zur Tür herein. „Zwei volle
    Stunden habe ich im Café gewartet, und wer nicht
    kam, warst du. Da gibt’s nur zwei Möglichkeiten,
    habe ich mir gesagt: Entweder der Vollidiot hat in
    seinem Badezimmer Harakiri begangen, oder ich
    bin sein alter Kumpel nicht mehr. Ich bin herge-

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    kommen, um mir Klarheit zu verschaffen.“
    Er schiebt mich mit der Hand zur Seite, inspiziert
    die Zimmer, kommt zurück und drängt mich durch
    den Korridor.
    „Auf den ersten Blick“, stellt er fest, „kein Grund zur Panik. Keine demolierten Möbel, keine zer-schlagenen Fensterscheiben. Was beweist, daß du
    hart im Nehmen bist, worüber ich froh bin … Und
    jetzt?“ fügt er hinzu und breitet die Arme aus,
    „wollen wir hierbleiben und Trübsal blasen, oder
    wollen wir lieber essen gehen?“
    Ohne meine Antwort abzuwarten, nimmt er mei-
    ne Jacke vom Stuhl und drückt sie mir in die Hand
    …
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