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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Autoren: Yasmina Khadra
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Einkaufstasche furcht-
    sam gegen ihre Brust gedrückt.

    Die Nacht überrascht mich auf der Strandpromena-
    de, wie ich an einem Geländer lehne und zwischen
    den Lichtern des Hafens meinen Gedanken nach-
    hänge. Eine Polizeistreife, die ich nicht habe kom-
    men sehen, umstellt mich wortlos, die MPs im An-
    schlag, bei der kleinsten Bewegung einsatzbereit.
    Ein Brigadier fährt mir mit dem Schein seiner Ta-
    schenlampe übers Gesicht und verlangt dann meine
    Papiere.
    „Ist kein guter Platz hier, Kommissar!“ empfiehlt
    er mir, „es wurde ein verdächtiges Fahrzeug hier
    im Sektor gesichtet.“
    „Wie spät ist es?“
    „Ziemlich spät. Fahren Sie nach Hause.“
    Ich bedanke mich und steige wieder in mein Au-
    to.
    Kaum stehe ich vor meiner Wohnungstür, klin-
    gelt drinnen das Telefon. Ich beeile mich ohne zu
    wissen warum.
    Vom anderen Ende der Leitung springt mich die
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    heisere Stimme meines Freundes Dine an: „Ich
    versuche schon seit einer Ewigkeit, dich zu errei-
    chen.“
    „Die Neuigkeiten sprechen sich ja schnell her-
    um.“
    „Vor allem die unangenehmen. Wo hast du denn
    gesteckt?“
    „Am Strand. Hab den Kopf in den Sand ge-
    steckt.“
    „Gefällt mir gar nicht, wenn du so redest, Bra-
    him. Ich baue darauf, daß du einen kühlen Kopf
    behältst.“
    „Ich werde ihn gleich in den Kühlschrank ste-
    cken“, verspreche ich ihm.
    „Sehen wir uns morgen? Ich bin ab zehn im Café
    En-Nasr. Falls du meinst, ein Freund sei dazu da,
    einem zur Seite zu stehen, wenn man in Schwie-
    rigkeiten steckt, dann weißt du wenigstens, wo du
    ihn finden kannst.“
    „Nett von dir.“ Ich lege auf.
    Erst als ich mich aus meiner Jacke schäle, wird
    mir bewußt, daß ich seit dem Morgen keinen Bis-
    sen zu mir genommen habe. Im Küchenschrank
    finde ich Brot und Käse, braue mir einen Kaffee
    zusammen und verziehe mich ins Wohnzimmer,
    um mir weiter das Hirn zu martern. Ich lasse mich
    in einen Sessel am Fenster fallen. Hinter den stau-
    bigen Scheiben sehe ich die Oberstadt, die im Nir-
    wana schwebt. Algier lockt keinen Nachtschwär-
    mer mehr an. Nur Gespenster geistern noch durch

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    seine Nächte. Die Stadt hat den Glauben an den
    Abend verloren, der sich vor schlechtgelaunten
    Schlaflosen prostituiert, wittert in der Ruhe nach
    dem Sturm schon die Ruhe vor dem nächsten …

    Das Klirren von Geschirr schreckt mich auf. Ich
    bin im Sessel eingenickt. Lino sitzt da, auf dem
    Sofa neben mir, hält sich an einer Tasse Kaffee fest und schaut mich ganz komisch an.
    „Wie bist du denn hier reingekommen?“
    „Nichts einfacher auf der Welt: Du hast verges-
    sen, die Tür zu schließen.“
    „Sieh an!“
    Er setzt die Tasse auf dem Beistelltisch ab und
    beugt sich über meine Augenringe. Er ist besoffe-
    ner, als die Polizei erlaubt.
    „Wenn sie dich wirklich rausschmeißen, dann
    geb ich meinen Dienstausweis zurück“, tut er soli-
    darisch kund.
    „Ich kann mir aber keinen Fahrer leisten.“
    „Das ist das letzte, worüber ich mir den Kopf
    zerbrechen würde. Begabung, Können, Vorbehalte,
    das zählt doch alles gar nichts mehr. Das einzige
    Beförderungskriterium, das sie uns gelassen haben,
    ist die Intrige. Und da werde ich mich zurückhal-
    ten!“
    Lino glaubt nicht wirklich, was er da sagt. Er ist
    mein Zögling. Ich habe ihn im Geist der Sunna und
    der Empfehlungen der verbürgten Hadiths* [* arab.
    „Rede, Gespräch, Erzählung, Bericht“ – Verbürgter Ausspruch des Propheten Mohammed. Die Hadith-Sammlungen 36
    reflektieren die Lebensgewohnheiten („Sunna“) des Propheten und gelten neben dem Koran als Hauptquelle des Islam.]
    erzogen. Wenn er sich jetzt so gehenläßt, dann nur, weil er leidet. Das ist seine Art von Protest.
    Ich schiebe ihn freundlich beiseite und gehe mich
    umziehen. Als ich zurückkomme, steht er am Fens-
    ter, drückt sich die Nase an der Scheibe platt, hat die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Ich stelle mich neben ihn und klopfe ihm auf die Schulter,
    ein kleiner Schwindel, damit er glaubt, daß Brahim
    Llob ein hartgesottener Bursche ist, der Tiefschlä-
    ge wegsteckt wie nichts. Er wendet sich um und
    liest in meinem Blick. Seine Stirn legt sich in Sor-genfalten. Ich begreife, daß die Haltung, die ich
    mir da aufzwinge, offenbar nicht sonderlich
    glaubwürdig wirkt.
    „Was gedenkst du zu tun?“ quetscht er hervor.
    „Nachdenken.“
    „Darf ich daraus folgern, daß ich dich in Ruhe
    lassen soll?“
    „Ich bin stolz auf deinen Scharfsinn!“
    Er
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