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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Autoren: Yasmina Khadra
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blickt auf seine Schuhspitzen. „Die Sache
    trifft mich völlig unvorbereitet. Ich weiß nicht, wie ich angemessen reagieren soll.“
    „Davon geht doch die Welt nicht unter, Lino.“
    Er nickt. „Du sollst wissen, daß du mich jederzeit
    anrufen kannst.“
    „Würde ich mir nie verzeihen, wenn ich daran
    zweifeln würde.“
    Er hebt zögernd die Hand zum Gruß und trollt
    sich davon.

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    * * *

    Wie immer, wenn ich nicht mehr weiter weiß, er-
    tappe ich mich dabei, wie ich Kurs auf Da Achour
    nehme. Er ist mein Tranquilizer. Ich treffe ihn auf der Veranda am Meer an, wie er friedlich in seinem
    Schaukelstuhl döst; aus dem offenem Hemd quillt
    sein Elefantenbauch, während die Ohren unterm
    Strohhut verschwunden sind. Als er mich mit mei-
    ner tristen Miene auftauchen sieht, beugt er sich
    übers Radio, um den Ton leiser zu drehen, und
    trifft Anstalten, mich mitsamt meinem Welt-
    schmerz in Empfang zu nehmen.
    Ich setzte mich neben ihn auf einen Schemel und
    lasse meinen Blick über die Wellen schweifen. Der
    Strand ist belebt. Die Rufe der Kinder schwirren
    hinter den Schreien der Möwen einem Himmel zu,
    der purer nicht sein könnte. Jugendliche Schwim-
    mer wagen sich weit aufs Meer hinaus, um junge
    Damen, die sich scheinbar gleichgültig im Schatten
    ihrer Sonnenschirme räkeln, zu beeindrucken, und
    spotten der Aufregung der Rettungsschwimmer.
    Auf Felsen, die wie Geysire schäumen, mühen sich
    Angler, widerspenstige Fische an die Leine zu be-
    kommen. Das ist der algerische Sommer, zwar mit
    Höhen und Tiefen, aber wild entschlossen, keine
    Zugeständnisse zu machen. Müßte ich auf einer
    Leinwand die Essenz des Lebens festhalten, dann
    in den Farben dieses Sommers, dieses Waffenstill-
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    standes.
    Da Achour spitzt die Lippen: „Ich habe schon
    gestern mit dir gerechnet.“
    „Dann bist du also im Bilde?“
    „Es gibt heutzutage keine Geheimnisse mehr.
    Das ganze Leben wirkt wie eine Fernsehaufzeich-
    nung.“
    Er schiebt gemächlich die Krempe seines Stroh-
    huts hoch und schaut mir ins Gesicht. „Und?“
    „Ich krieg’s schon irgendwie in den Griff.“
    „Gut so. Die modernden Gewässer im Teich
    vermochten noch nie die Reinheit der Seerose zu
    trüben.“
    „Aber sie erheben sie auch nicht in den Rang ei-
    ner Krone.“
    „Kronen kümmern sie nicht. Sie ist sich selbst
    Majestät genug.“
    Ich blicke skeptisch.
    Er fügt hinzu: „Ich habe mir Sorgen um dich ge-
    macht.“
    „Hattest du Angst, ich würde mir eine Kugel in
    den Kopf jagen?“
    „So unberechenbar, wie du bist …“
    Ein großer Fußball landet neben der Veranda.
    Zwei Kinder kommen schüchtern näher, um ihn zu
    holen, und beobachten uns furchtsam aus den Au-
    genwinkeln. Mein Lächeln schlägt sie schneller in
    die Flucht als die Grimasse vom Schwarzen Mann.
    „Und? Was meinst du? Hab ich eine Dummheit
    gemacht?“

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    „Wenn du anfängst, an dir zu zweifeln, bist du
    keine Bohne wert.“
    „Ich zweifle ja gar nicht.“
    Da Achour schiebt seinen Hut definitiv hoch und
    rappelt sich mühsam auf, um mir von Angesicht zu
    Angesicht zu erklären: „Ein Dichter macht keine
    Dummheiten. Ein Dichter deckt die Dummheiten
    der anderen auf. Ist doch logisch, daß das nicht
    jeden begeistert. Ich habe dein Buch gelesen. Es ist der Mühe wert, glaub mir.“
    „Sie haben mich einfach abserviert. Nach fünf-
    unddreißig Jahren, in denen ich mich täglich mit
    diesen Idioten habe herumschlagen müssen. Nach
    fünfunddreißig Jahren, in denen ich mich grün und
    blau geärgert habe, in denen ich felsenfest an Recht und Ordnung geglaubt habe, an das Vorhandensein
    von Prinzipien, an Loyalität – allen Lügen, aller
    Demagogie, allen schmutzigen Machenschaften
    zum Trotz. Ich wollte mich schon längst pensionie-
    ren lassen, da kam mir dieser bekloppte Krieg in
    die Quere. Ich dachte, der brave Mann verläßt sein
    Schiff nicht, wenn es zu kentern droht, er versucht alles, um den Mast wieder aufzurichten. Und dann,
    eines Morgens, zeigen sie dir den Hinterausgang
    und verlangen von dir, die Fliege zu machen, ohne
    jede Vorwarnung …“
    „Denn sie wissen nicht, was sie tun. Die Welt
    wird immer prosaischer. Die schlichten Freuden
    von einst, die Freude am Schönen, das ist heute aus der Mode gekommen. Das einzige Drama, das man
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    kennt, ist das Drama des Mißerfolgs, der einzige
    Glaube, der noch gilt, der Glaube ans Investment.
    Der Mensch hat anstelle eines Gewissens nur noch
    eine fixe Idee: Money Money Money …
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