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Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß

Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß

Titel: Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
Autoren: Yasmina Khadra
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möglich sein.
    Was erwartest Du von Europa beziehungsweise dem Westen angesichts der Krise in Algerien?
    182
    Wir erwarten uns nichts mehr von Europa und noch weniger von den uns nahestehenden arabischen Nationen. Wir haben sehr rasch verstanden, daß wir alleine sind – Geiseln einer diabolischen Machenschaft – und daß wir uns zu unserer Verteidigung nur auf die rudimentären Mittel stützen können, über die wir selbst verfügen. Auch den Glauben an internationale Absprachen und Solidaritätsbekundungen haben wir verloren. Gleichzeitig amüsieren sich unsere Verantwortli-chen königlich über unser Elend und bemühen sich, das Land zu verschleudern, kaum kehrt man ihnen den Rücken. Wenn wir nicht einmal mehr von unseren Regierenden etwas erwarten, was können wir dann vom Ausland erhoffen? Das algerische Volk ist abgehärtet, sein Widerstand und seine Würde sind seine alleinigen Verbündeten. Wir haben gelernt, unsere Wunden in aller Stille und Zurückhaltung zu lecken, und wir können aus dieser qualvollen Lage nur gestärkt hervorgehen.
    Die Beschreibungen der algerischen Jugendlichen, die du in deinen Romanen gibst, sind auffallend trostlos und pessimis-tisch. Die junge Generation symbolisiert jedoch die Zukunft eines jeden Landes. Ist die algerische Jugend deiner Meinung nach kein Hoffnungsträger für Algerien?
    Die algerische Jugend wurde verführt und dann im Stich gelassen; in einer Gesellschaft, die unaufhaltsam auseinan-derbricht, ist sie völlig auf sich allein gestellt. Die junge Generation weigert sich, Kopf und Arme hängen zu lassen, und versucht, zumindest mit den letzten Sicherheiten, die ihr bleiben, zurechtzukommen. Es kommt für sie nicht in Frage, sich geschlagen zu geben. Sie liegt auf der Lauer nach dem geringsten Hoffnungsschimmer, um sich daran aufzurichten, denn sie weiß, daß sie auch in einem sehr eingeschränkten Lebensraum fähig ist, die Heimat und die konfiszierten Ideale zurückzuerobern. Hoffnung ist weder ein Traum noch eine schillernde Perspektive. Sie ist vielmehr ein Programm. Für mich ist sie zwangsläufig das Zusammenwirken von drei grundlegenden Elementen: einem ambitionierten Ziel, den Fähigkeiten, derer es bedarf, um dieses Ziel zu erreichen, und 183
    einer unbeugsamen Motivation. Abgesehen von diesen drei nicht zu trennenden Kriterien ist der Rest nichts als Utopie.
    Unsere Jugend wartet brennend darauf, endlich über dieses Dreigespann zu verfügen, um darauf ihre Zukunft zu errich-ten. Bis heute haben die Taugenichtse, die das Land regieren, es ihr versagt. Mit Präsident Bouteflika hoffen wir alle, die unglücklichen Umstände zu bezwingen und wieder vollwer-tige – fleißige, tolerante und freie – Staatsbürger zu werden.
    In deinen Romanen nimmt der Schriftsteller, d.h. derjenige, der lesen und schreiben kann, eine besondere Rolle ein. Ich denke an Kommissar Llob, der nicht nur Kriminalbeamter, sondern auch ein angesehener Autor ist, an Dactylo in Les Agneaux du Seigneur und an Sid Ali in À quoi rêvent les loups. Welche Rolle und Aufgabe hat deiner Meinung nach der Schriftsteller im gegenwärtigen Konflikt?
    Ich sehe die Rolle des Schriftstellers darin, sich immer ange-messen zu verhalten, seinen scharfen Verstand einzusetzen und es zu vermeiden, seinen Bekanntheitsgrad über das Un-glück der Seinen zu stellen. Seine Aufgabe ist es, das Gewissen wachzurütteln, auf der Hut zu sein, denn er ist der wahre Hüter des Tempels.
    Und welche Rolle kommt der Literatur zu? Kann sie deiner Einschätzung nach etwas verändern?
    Das hängt vom politischen System ab. In jenen Ländern, in denen völlige Willkür herrscht, haben die Schriftsteller kein Wort mitzureden. Ihr „Martyrium“ könnte jedoch den Wider-standsgeist bestimmter sozialer Randgruppen stärken. Wenn man die herrschende Klasse stört, zwingt man sie, sich Fragen zu stellen – falls sie dazu überhaupt in der Lage ist – und ihre Straffreiheit nicht ruhigen Gewissens zu mißbrauchen. In zivilisierten Ländern genießt die Literatur Souveränität. Sie ist stets wachsam, ermahnt die Entscheidungsträger, versteht sich als ein Medium, das die Grenzen der Erfahrung zu überschreiten vermag, und sieht sich als das beflissene Gewissen einer Nation, als das Licht, das den kommenden Generatio-nen den Weg leuchtet, ist Ausdruck der Begabung eines Vol-184
    kes. Stellen wir uns nur die 68er Jahre in Frankreich ohne Sartre, de Gaulle oder Malraux vor, Paris ohne seine Künstler, Deutschland ohne seine
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