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Come in and burn out - Denglisch

Come in and burn out - Denglisch

Titel: Come in and burn out - Denglisch
Autoren: Soeren Sieg , Jan Melzer
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eigentlich!
    Trotzdem gibt es einen Trost für alle, die unter der Denglisch-Invasion leiden. Auch wenn Sie es sich nicht vorstellen können: Es war alles schon mal viel katastrophaler!

History
ALS ALLES NOCH VIEL SCHLIMMER WAR
    Die 6,9   Milliarden Menschen auf dieser Erde sprechen ungefähr 6500   Sprachen. 1,4   Milliarden sprechen Chinesisch. 121   Millionen sprechen Deutsch. 6   Millionen sprechen Slowakisch. 300   000 sprechen Isländisch. 66   000 sprechen Rätoromanisch. Und noch zweihundert Menschen im Nordosten Sibiriens sprechen Jukagirisch. Warum machen gerade wir Deutschen uns so viele Sorgen um unsere Sprache?
     
    Der Sprachhistoriker Karl-Heinz Göttert meint: weil wir das einzige Volk in Europa sind, das sich nicht nach seinem Land oder seiner Herkunft benannt hat, sondern nach seiner Sprache. Und was für eine Sprache war das damals? Eigentlich gar keine. Ein Sammelsurium an Mundarten. Ein Gossendialekt von Analphabeten, gesprochen von primitiven Stämmen, die es mit den Kulturvölkern des Mittelmeeres nicht aufnehmen konnten. Über Jahrhunderte war Deutsch von einer Kultursprache so weit entfernt wie Lothar Matthäus vom Literaturnobelpreis. Weswegen wir auch von seinen Anfängen so gut wie nichts wissen, außer, dass es mehrere Lautverschiebungswellen durchlief, die es aufspaltete in Niederdeutsch im Norden und Mittel- und Oberdeutsch im Süden und Osten. Die Niederdeutschen haben den Übergang zu den Diphtongen im 15.   Jahrhundert verpasst: sie sagen immer noch Fru statt Frau und Hus statt Haus.
     
    Geschrieben und gedruckt wurde bis in die Frühe Neuzeit nur Latein. Es war die Sprache der Gebildeten, des Klerus, der Kanzleien und des Adels. Deutsch war die Bauernsprache. Die erste ›Deut sche Rechtschreibung‹ kam erst 1645 heraus, das erste deutsche Wörterbuch 1691.   Der erste und einzige deutschsprachige Bestseller blieb über Jahrhunderte eine Übersetzung: Luthers Bibel. 1522 erschienen, verkaufte sie sich bis zu Luthers Tod allein500   000   Mal, bei 12   Millionen Einwohnern. (Goethes ›Faust‹ fand 300   Jahre später nicht mal tausend Abnehmer.) Luther schaffte fast im Alleingang, was die Politik bei 3000 deutschen Territorien nicht leisten konnte: dem Deutschen eine einheitliche Form zu geben.
     
    Deutsch als Hochsprache, als Wissenschaftssprache durchzusetzen, war noch viel mühsamer. Leibniz forderte in zwei Schriften eine deutschsprachige Wissenschaft, veröffentlichte aber bis zu seinem Tod ausschließlich auf Latein und Französisch. Die Preußische Akademie der Wissenschaften, 1700 gegründet, sprach unter seinem Vorsitz Latein. Und ihre Neugründung 1744   Französisch – so wie ihr Reorganisator, Friedrich der Große. Das ist so, als würde Angela Merkel ihre Reden in breitem Amerikanisch halten.
     
    Die Italiener entwickelten das Bankenwesen, die Musik und die Architektur, die Holländer die Gartenkunst und die Franzosen Militär und Mode. Und sie prägten die Sprache für diese Bereiche – in ganz Europa. Deutsch hinkte hinterher.
     
    Es waren Einzelne, die in einem typisch deutschen Eifer unsere Sprache ausbauten und Anschluss hielten. Philipp von Zesen zum Beispiel, der 279 (!) Bücher schrieb und unzählige deutsche Wörter erfand: den »Abstand« für die Distanz, die »Bücherei« für die Bibliothek und den »Gesichtserker« für die Nase. Joachim Heinrich Campe ersann gar 11   000 neue deutsche Wörter, von denen wir 300 noch benutzen: vom Erdgeschoss (für Parterre) über das Feingefühl (für Takt) bis zur Hochschule (für die Universität).
     
    Diese Leute waren Pioniere. Aber von Anfang an mischte sich in die Verteidigung des Deutschen ein gereizter, beleidigter Ton. Justus Schottel unterstellte dem Französischen eine Tendenz zur »Gauckeley«. Jacob Grimm schmähte die »kreischenden, auffahrenden Franzosen«. Ernst Moritz Arndt plante eine »Gesellschaft für die Verbannung und Vertilgung der französischen Art und Sprache«, um »teutsche Kraft und Zucht« zu befördern. Und derErzreaktionär Friedrich Ludwig Jahn (genau: der Turnvater) erfand den Kampfbegriff »Fremdwort«, um als selbsternannter »Sprachfeger« dagegen zu Felde zu ziehen.
     
    Der »Allgemeine Deutsche Sprachverein« von 1885 prägte den Leitspruch: »Gedenke, wenn du die deutsche Sprache sprichst, dass du ein Deutscher bist!« Und erstellte Eindeutschungslisten für alle Lebensbereiche, beginnend mit Lebensmitteln (»einge dickte « statt kondensierte Milch)
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