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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender
Autoren: Stephen Fry
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andere Haus Nelson ... oder auch Walter Raleigh? Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern – trugen Abzeichen in leuchtendem Zinnober. Chesham Prep war eine koedukative Schule, und meine Freundin, das Objekt meiner sechsjährigen Zuneigung, hieß Amanda Brooke, an deren flauschigem anthrazitfarbenen Lambswool-Pullover das stolze Schlüsselblumengelb von Florence Nightingale prangte. An der Strickjacke ihrer Schwester Victoria flammte das Limonengrün von Gladys Aylward, Schutzpatronin der Klasse sechs. Victoria war Rogers Freundin, wodurch alles gewissermaßen in der Familie blieb.
    Noch heute schmerzt die Erinnerung, daß ich elf Jahre später und mit ein paar Schulverweisen auf dem Buckel als Siebzehnjähriger, der gerade frisch von zu Hause ausgerissen war, nach Chesham zurückkehren und als Gast im Haus der Brooke-Mädchen die Diner’s Club Card ihres Vaters stehlen sollte, um damit eine wüste Vergnügungstour quer durchs Land zu starten, die im Gefängnis und in tiefer Schmach endete.
    Eines Morgens stolperte ich auf dem Schulhof von Chesham Prep, knallte kopfüber auf den Boden und brach mir die Nase. Zu der Zeit war meine Nase ein süßer kleiner Knopf – wenn je etwas süß an mir gewesen sein sollte – und der Unfall, obwohl es Blut und Tränen gegeben hatte, ein alltägliches Ereignis im Leben eines kleinen Jungen. Mit den Jahren jedoch wurde meine Nase immer größer, bis mit vierzehn nicht mehr zu übersehen war, daß sie, genau wie ihr Besitzer, reichlich schief geraten war. Als Teenager und auchspäter noch sagte ich immer wieder: »Ich muß dieses verdammte Ding eines Tages richten lassen«, worauf mir stets ein lauter Chor entgegenschallte: »Aber nicht doch, Stephen ... sie sieht so vornehm aus.« Natürlich ist an einer verbogenen Nase nichts Vornehmes. Ein Schmiß mag vornehm sein, genau wie eine Kerbe am Kinn oder ein distinguiertes unmerkliches Hinken, aber eine krumme Nase ist einfach nur idiotisch und unansehnlich. Heute glaube ich, die Leute wollten nur nett zu mir sein und mir den Tiefschlag ersparen, nach einer Operation feststellen zu müssen, daß mein Gesicht auch mit einer ins Lot gebrachten Nase nicht zu retten war. Die traumatische Erfahrung, daß ein Stephen mit gerader Nase genauso unappetitlich aussah wie ein Stephen mit krummem Kolben, hätte mir womöglich den Rest gegeben.
    Wir behalten unsere kleinen Makel, damit wir unsere größeren Defekte darauf abwälzen können. Ich muß häufig an meine krumme Nase denken, wenn ich mit einem Freund eine unserer vielen politischen Diskussionen führe. In seinen Augen ist die Existenz der Monarchie, der Aristokratie und des House of Lords gänzlich absurd, ungerecht und überholt. Dem ließe sich schwerlich widersprechen. Er ist jedoch davon überzeugt, alle drei müßten im Namen von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit abgeschafft werden. Genau hier scheiden sich unsere Ansichten. Für mich sind Monarchie und Aristokratie Britanniens krumme Nase. Ausländer halten diesen antiquierten Unfug für vornehm, während wir ihn als lächerlich erachten und fest entschlossen sind, ihn eines Tages loszuwerden. Ich befürchte allerdings, daß, sobald wir uns beider entledigt haben, was mit Sicherheit geschehen wird, uns der psychische Schock ins Haus steht, entdecken zu müssen, daß wir nicht auch nur einen Deut mehr Freiheit oder soziale Gerechtigkeit erlangt haben als beispielsweise Länder wie Frankreich oder die Vereinigten Staaten. Wir werden bleiben, was wir heute schon sind, nämlich genauso frei wie jene beiden Länder. Im Augenblick sind wir vielleichtnicht ganz so frei (was immer frei heißen mag) oder so sozial gerecht (dito) wie die Beneluxstaaten oder Skandinavien, zufälligerweise alles Monarchien. Kosmetische Veränderungen an unserer Verfassung werden zweifellos schwere psychologische Schäden nach sich ziehen. Die Welt würde auf uns blicken und aufgeregt tuscheln und kichern, wie es immer der Fall ist, wenn jemand aus dem Bekanntenkreis beim Plastikchirurgen war. Wir würden den Verband abnehmen, der internationalen Gemeinschaft unsere neue, geradnasige Verfassung präsentieren und gespannt auf bewundernde Kommentare und kleine Entzückensschreie warten. Doch wie tief wird es uns verletzen, erleben zu müssen, wie die internationale Gemeinschaft nur müde gähnt und, weit davon entfernt, vom Glanz der Gerechtigkeit, Freiheit und Schönheit, in dem unser Land erstrahlt, geblendet zu sein, enttäuscht darüber die Nase
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