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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender
Autoren: Stephen Fry
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Samuelanthonyfarlowebunce, für seine Freunde Sam, aber niemals Sammy.
    »Also werde ich Bunce zu dir sagen«, erklärte ich ihm. »Und du nennst mich Fry. Wenn mein Bruder dabei ist, sagst du Fry S. J., damit es keine Verwechslungen gibt. Aber auf keinen Fall der kleine Fry oder der jüngere Fry, ich hasse das. Hier hast du ein Taschentuch. Putz dir damit die Nase. Gleich kommen die anderen.«
    »Die anderen?« Er zog seine Nase aus meinem vollgesabberten Taschentuch und blickte wie ein erschrockenes Rehkitz um sich, das beim Trinken an einem Wasserloch das Knacken eines Zweigs vernommen hat.
    »Nur die Jungen, die mit uns fahren. In der Regel um die zwanzig. Siehst du das Schild da im Fenster? ›Reserviert für Stouts Hill School‹. Wir haben den ganzen Waggon für uns. Alle vier Abteile.«
    »Was passiert, wenn wir ... wenn wir da sind?«
    »Wenn wir wo sind?«
    »Wenn wir im Bahnhof sind?«
    »Ach so, da wartet ein Bus auf uns. Keine Angst, ich paß schon auf, daß du nicht verlorengehst. Wie alt bist du eigentlich?«
    »Siebeneinhalb.«
    Er sah wesentlich jünger aus. Kaum den Windeln entwachsen.
    »Nur keine Angst«, wiederholte ich. »Ich paß auf dich auf. Kann gar nichts schiefgehen.«
    Ich paß auf dich auf .
    Welche Wonne, diese Worte auszusprechen, eine warme, feuchte See der Wonne. Gar nicht mal so übel. Ein kleines Haustier ganz für mich allein.
    »Wir halten zusammen«, sagte ich. »Du wirst sehen, ist alles halb so schlimm.«
    Fürsorgliche väterliche Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, während ich mir vorzustellen versuchte, welche Sorgen in seinem Innern rumorten. Dabei brauchte ich mich bloß meiner eigenen Ängste im Semester zuvor zu erinnern.
    »Die Leute sind alle sehr nett. Das Auspacken erledigt die Wirtschafterin, du mußt nur dein Sportzeug runter in den Aufbewahrungsraum bringen. Dazu brauchst du allerdings deine Schülernummer, damit du den richtigen Haken findest. Ich bin eins-null-vier, die höchste Nummer, die je an der Schule vergeben wurde. Im letzten Semester hatten wir zwölf Abgänger, aber da nur acht oder neun Neue kommen, wird es die eins-null-fünf wohl nie geben. Ich gehöre zu den Ottern. Aber man wird dir schon rechtzeitig sagen, in welches Haus du kommst. Vor Hampton mußt du dich in acht nehmen, der verteilt tausend Nadelstiche und Pferdeküsse. Wenn Mr. Kemp Aufsicht hat, gibt’s Schinkenspalter. Mein Bro sagt, dieses Jahr ist Fußball an der Reihe. Ich hasse Fußball, aber es gibt ja noch Conkers, was echt klasse seinsoll. Mein Bro sagt, bei Conkers spielen alle verrückt. Soll der absolute Heuler sein, meint mein Bro.«
    Bunce faltete mein vollgeschnieftes Taschentuch zusammen und versuchte zu lächeln.
    »In zwei Wochen«, sagte ich, mich an den Spruch meiner Mutter im letzten Semester erinnernd, »hüpfst du wie ein junges Fohlen auf der Weide und wirst dich nicht einmal mehr an das flaue Gefühl im Zug erinnern.«
    Ich blickte aus dem Fenster und sah eine Reihe Kreissägen und Damenhüte vorbeigleiten.
    »Oder stehst du nicht so auf grünes Gras und viel freien Auslauf?«
    Jetzt brachte er sogar ein richtiges Lächeln und ein leises Glucksen zustande.
    »Na denn los«, sagte ich. »Da rücken die nächsten an. Weißt du was, hier hast du mein ›Ranger‹. Beschäftige dich damit, wenn sie reinkommen, dann fällt keinem was auf.«
    Er nahm es dankbar entgegen.
    »Vielen Dank«, sagte er. »Du bist der netteste Junge, dem ich je begegnet bin.«
    »Quatsch«, erwiderte ich, erglühend wie heiße Kohlen.
    Draußen näherte sich eine Gruppe älterer Schüler mit den üblichen Sprüchen.
    »Okay, Mum«, sagte einer.
    »Sag bitte nicht ›okay‹, Liebling. Und vergiß diesmal nicht zu schreiben, ja?«
    »Okay, Mum.«
    Mein Bro und ich redeten unsere Eltern nie mit Mum und Dad an. Immer nur mit Mummy und Daddy, bis viele Jahre später Mutter und Vater offiziell genehmigt wurden. Und erst als wir schon fast erwachsen waren, gingen wir mit leicht gequälter Unbefangenheit zu Ma und Pa über. Im letzten Semester hatte ich im Kunstunterricht aufgezeigt und gefragt: »Mummy, kann ich noch ein Stück Zeichenkohle bekommen?« Die ganze Klasse hatte sich vor Lachen gekringelt.
    Umgekehrt hatte ich in den Ferienwochen meine Mutter oft mit ›Sir‹ oder ›Wirtschafterin‹ angesprochen.
    Bunce war ins Trigan Empire abgetaucht, aber ich wußte, daß auch er den Stimmen auf dem Gang lauschte, und sah, wie das selbstbewußte Palaver der anderen Jungen ihm angst machte. Er
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