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Colin Cotterill

Titel: Colin Cotterill
Autoren: Dr. Siri und seine Toten
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abzuwarten.
    Haeng sah ihn an, als sei er der letzte Dreck. »Ich glaube, das nächste Mal müssen wir uns dringend über Ihre Einstel ung unterhalten. Meinen Sie nicht auch?«
    Siri lächelte und verkniff sich einen Kommentar.
    »Und, Doktor« - der Pathologe stand mit dem Gesicht zur Tür - »was glauben sie wohl, warum die demokratische Republik ihren Beamten gratis schwarze Qualitätsschuhe zur Verfügung stel t?«
    Siri betrachtete seine zerschlissenen braunen Sandalen. »Um den Chinesen Arbeit zuzuschustern?«
    Richter Haeng senkte den Blick und schüttelte in Zeitlupe den Kopf. Diese Geste hatte er sich bei älteren Männern abgeschaut, und sie passte nicht zu ihm.
    »Wir leben nicht mehr im Urwald, Genosse. Und wir hausen auch nicht mehr in Höhlen. Wir verlangen den Respekt der Massen, und unsere Kleidung spiegelt unseren Status in der neuen Gesel schaft wider. Zivilisierte Menschen tragen Schuhe. Die Genossen erwarten das von uns. Haben Sie mich verstanden?« Er sprach jetzt langsam, wie eine Krankenschwester mit einem senilen Patienten.
    Siri wandte sich zu ihm um, ohne sich die Demütigung anmerken zu lassen.
    »Ich glaube schon, Genosse. Aber ich finde, wenn das Proletariat mir schon die Füße küssen wil , sol te ich ihm wenigstens ein paar Zehen bieten, um die es seine zarten Lippen schließen kann.«
    Er riss die verklemmte Tür auf und ging hinaus.
    Am Ende dieses langen Freitags ging Siri durch die staubigen Straßen von Vientiane nach Hause. Normalerweise schenkte er jedem ein fröhliches Lächeln, doch dieses Lächeln wurde neuerdings immer seltener erwidert.
    Zwar hatten die Händler, die ihn kannten, stets ein freundliches Wort für ihn bereit, aber Fremde schienen seine Miene häufig zu missdeuten. »Weiß er mehr als wir, der kleine Mann? Oder warum lächelt er?«
    Er sah eine Gruppe von Beamtinnen, die sich nach getaner Arbeit auf den Heimweg machten. Sie al e trugen Khakiblusen und die traditionel en knöchel angen, schwarzen Phasin, die steif an ihnen herunterhingen.
    Dennoch gelang es ihnen, ihrer Uniform eine persönliche Note zu geben: hier eine Brosche, da ein anderer Kragen, dort ein individuel er Faltenwurf.
    Er sah Schulkinder in weißgeschrubbten Hemden und kratzigen roten Schals.
    Der zurückliegende Tag hatte sie offenbar so sehr verstört, dass ihnen die Lust am Kichern oder Herumalbern vergangen war. Siri konnte es ihnen nachfühlen.
    Er sah dunkle, halbleere Geschäfte, die al e die gleichen Waren feilzubieten schienen. Er sah den Brunnen, in dessen Hähnen Insekten nisteten, und unfertige Häuser, an deren Bambusgerüsten sich Efeu emporrankte.
    Er brauchte zwanzig Minuten bis nach Hause: Zeit genug, um die lästige Erinnerung an Richter Haeng zu verdrängen. Siri wohnte in einem von den Franzosen erbauten alten, zweistöckigen Haus mit einem kleinen Vorgarten, randvol mit Gemüse. Dem Gebäude fehlte es praktisch an al em: Farbe, Mörtel, intakten Fensterscheiben, Kacheln; aber damit war in nächster Zeit wohl nicht zu rechnen.
    Saloop kam im Halbschlaf wie ein Krokodil zwischen den Kohlköpfen hervorgekrochen und jaulte Siri an. Der Hund jaulte ihn - und nur ihn - an, seit er vor zehn Monaten hier eingezogen war. Niemand wusste, weshalb das räudige Vieh es ausgerechnet auf den Doktor abgesehen hatte, aber wer konnte schon ahnen, was im Kopf eines Hundes vorging?
    Auf Saloops gespenstisches Geheul erhob sich in der Nachbarschaft wildes Gebel , während Siri die knarrende Haustür aufstieß. Er konnte sich nie unbemerkt hereinschleichen. Selbst die Treppe verriet ihn. Unter seinen Schritten hal te ihr Ächzen durch den leeren Flur, und die losen Dielen kündeten von seiner Ankunft auf der Galerie.
    Weder die Haustür noch die Tür zu seinem Zimmer war verschlossen. Das war auch nicht nötig. Es gab schließlich keine Kriminalität. Seine Wohnung ging nach hinten hinaus, mit Blick auf den kleinen Haisok-Tempel. Er stieg rückwärts aus seinen Sandalen und trat ein. Am Fenster erwartete ihn ein mit Büchern übersäter Schreibtisch. An der Wand lag eine dünne Matratze zusammengerol t unter einem Moskitonetz. Drei mit rissigem PVC bezogene Stühle drängten sich um einen blechernen Teetisch, und ein fleckiger kleiner Ausguss thronte auf einem dicken Eisenrohr.
    Das Badezimmer im Parterre teilte er sich mit zwei Paaren, drei Kindern und einer  Frau,
    ihres  Zeichens amtierende Leiterin der erziehungswissenschaftlichen Abteilung des
    Bildungsministeriums. Eine der vielen
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