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Colin Cotterill

Titel: Colin Cotterill
Autoren: Dr. Siri und seine Toten
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Kaiserstadt Luang Prabang und entstammte einer Familie, die dem Königshaus seit Generationen treu ergeben war. Doch während ihre Eltern vor dem König auf die Knie fielen, sich verbeugten und ihm Orchideenblätter vor die Füße streuten, plante sie in ihrem Zimmer seinen Sturz.
    Von der Kommunistischen Partei Frankreichs hatte sie durch ihren ersten Geliebten erfahren, einen dürren jungen Dozenten aus Lyon. Bei der ersten besten Gelegenheit war sie in ihr Mekka aufgebrochen. Während Siri nach Paris gekommen war, um Arzt zu werden, diente Boua ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin als Vorwand: Sie war nach Paris gekommen, um eine möglichst gute Kommunistin zu werden und die unterdrückten Massen in ihrem Heimatland vom Joch der Knechtschaft zu befreien.
    Eines machte sie Siri unmissverständlich klar: Wenn er ihre Hand wol e, müsse er auch der Roten Fahne ewige Treue schwören. Er wol te nicht nur ihre Hand, sondern auch den Rest ihres wunderschönen Körpers, und dafür schienen ihm vier Abende die Woche, jeder zweite Sonntag und fünf Francs im Monat ein mehr als angemessener Preis. Anfangs war es ihm unangenehm, sich mit Leuten zu treffen, die vol er Inbrunst den Sturz des großen kapitalistischen Imperiums propagierten. Er mochte die Musik des Kapitalismus und hatte die feste Absicht, dazu zu tanzen, sobald sich die Gelegenheit ergab. Er war sein Leben lang arm gewesen, ein Leiden, das er als Arzt rasch zu kurieren hoffte. Aber schließlich gewann sein schlechtes Gewissen die Oberhand.
    Boua und der Kommunismus verschworen sich gegen ihn und machten seine Träume und Hoffnungen zunichte. Je stärker er sich zu seiner Verlobten und der Roten Fahne hingezogen fühlte, desto reizloser erschien ihm die Medizin.
    Sein fünftes Jahr bestand er nur dank diverser Nachprüfungen. Bei Antritt seines Praktikums prangten auf dem Deckel seiner Personalakte zwei schwarze Sterne. Sie zeigten an, dass der betreffende Student sich als erstklassiger Assistenzarzt würde erweisen müssen, wol te er nicht vorzeitig in eine Aéropostale-Maschine verfrachtet werden und der finanziel en Unterstützung seines Gönners verlustig gehen.
    Zum Glück war Siri geborener Arzt. Die Patienten beteten ihn an, und das Personal im Hôtel-Dieu hatte eine so hohe Meinung von ihm, dass die Verwaltung ihn förmlich bekniete, doch in Frankreich zu bleiben, und ihm eine vol e Stel e anbot. Aber sein Herz gehörte Boua, und als sie in ihre Heimat zurückkehrte, um dort für »die Sache« zu kämpfen, war er an ihrer Seite.

    Am Montag ging Siri zum Mekong hinunter und schaute aufs Wasser hinaus.
    Die Regenzeit hatte sich dieses Jahr besonders hartnäckig gehalten, dafür hatten sie jetzt mindestens fünf Monate Ruhe. Es war ein frischer Novembermorgen, und die Sonne war noch nicht heiß genug, um das Gras am Flussufer zu trocknen. Der kühle Tau benetzte Siris Füße, und er fragte sich, ob die glänzenden Plastikschuhe der Partei die nächste Regenzeit wohl überstehen würden.
    Widerstrebend setzte er einen Fuß vor den anderen. Der Duft der Krähenscheiße, die an der Uferböschung blühte, stieg ihm in die Nase. Von drüben starrte ihn Thailand feindselig an, die Boote der Armee trieben in Ufernähe. Der Fluss, der die beiden Länder einst verbunden hatte, trennte sie jetzt.
    Vor der Mahosot-Klinik setzte er sich auf einen wackligen Hocker am Straßenrand und aß fade Fö-Nudeln, die er an einem Imbisskarren erstanden hatte. Nichts schmeckte mehr wirklich frisch. Aber nach al den Krankheiten, denen er im Lauf der Jahre ausgesetzt gewesen war, konnte das seiner Gesundheit wenig anhaben. Hätte er sich Salmonel en gespritzt, wären sie vermutlich ohne jede Wirkung geblieben.
    Da ihm keine passende Ausrede einfiel, um der Arbeit weiter fernzubleiben, ging er zwischen den kastenförmigen Gebäuden hindurch zu seinem Büro.
    Beim Bau der Klinik hatten die Franzosen auf Stil und Eleganz bewusst verzichtet: Sie bestand im Wesentlichen aus einer Ansammlung von schmucklosen Betonbungalows. Vor seinem Bungalow angekommen, zögerte er kurz, bevor er eintrat. Auf dem Schild über der Tür stand, auf Französisch, MORGUE. Auf der Fußmatte darunter - eine persönliche Note - stand, auf Englisch, WELCOME.
    Nur zwei Räume im Bungalow hatten Fenster. Sein Büro war einer davon. Er teilte es mit seinen beiden Mitarbeitern, die Richter Haeng verächtlich »die Anderthalb« zu nennen pflegte.
    »Guten Morgen, Genossen.« Er betrat den betongrauen Raum und ging zu
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