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Colin Cotterill

Titel: Colin Cotterill
Autoren: Dr. Siri und seine Toten
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geboren wurden, vermochte Siri nicht zu sagen, aber der thailändische Rundfunk konnte dies mit Zahlen einwandfrei belegen.
    Die Samstagmorgensendungen hörte er am liebsten, weil die Thais annahmen, dass die Laoten sich am Wochenende um ihre Empfangsgeräte scharten und nach Propaganda förmlich gierten. Aber heute war Siri nicht recht bei der Sache. Er kam noch nicht einmal dazu, das Radio einzuschalten.
    Er trug seinen dicken, braunen Vietnam-Kaffee zum Tisch, setzte sich auf seinen Lieblingsstuhl und sog den köstlichen Duft tief ein. Der Kaffee roch sehr viel besser, als er schmeckte.
    Er wol te eben einen Schluck trinken, als er auf der blechernen Tischplatte etwas schimmern sah. Es war ein Wasserkringel, wie von einem feuchten Glas. Das war nicht weiter bemerkenswert, nur hatte er heute Morgen noch nichts auf den Tisch gestel t. Sein Becher war trocken, und er hielt ihn in der Hand. Und bei dem heißen Klima von Vientiane konnte er unmöglich noch vom Vorabend stammen.
    Er nippte an seinem Kaffee, starrte versonnen auf den Wasserkringel und versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Sein Blick wanderte zu dem Stuhl, wo ihm die morgendlichen Schatten etwas vorgegaukelt hatten, und wieder zurück zum Tisch. Perverserweise befand sich der Kringel genau an der Stel e, wo die Whiskyflasche des Fischers gestanden hatte. Siri drehte sich um und riss ein Stück Papier von der Rol e im Wandregal.
    Als er sich wieder dem Tisch zuwandte, war der Wasserkringel verschwunden.
    Sein zweites seltsames Erwachen an diesem Wochenende war nicht ganz so mysteriös. Fräulein Vong vom Bildungsministerium hatte die Angewohnheit, erst an die Tür zu klopfen, nachdem sie eingetreten war. Sie hatte Siri schon oft beim An- oder Ausziehen überrascht und warf ihm jedes Mal strafende Blicke zu. Wäre er so bei ihr hereingeplatzt, hätte sie ihn gewiss längst vor Gericht gezerrt.
    Aber als sie an diesem Sonntagmorgen kam, lag er noch im Bett und schlief, woraus er schloss, dass es noch früh sein musste. Vom Tempel wehte bereits Weihrauchduft ins Zimmer, aber die Hähne träumten noch von majestätischen Flügen über Berge und Seen.

    »Na los, Sie Schlafmütze. Raus aus den Federn.«
    Da sie keine eigenen Kinder hatte, war sie dazu übergegangen, al e und jeden zu bemuttern. Sie trat ans Fenster und riss den Vorhang auf. Das Licht strömte nicht herein, es quol . Es war in der Tat noch früh. Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Wir müssen einen Bewässerungsgraben ausheben.«
    Er stöhnte innerlich. Gab es eigentlich keine Wochenenden mehr, keine Freizeit, keine Feiertage? Schon samstags wurde aus einem halben unweigerlich ein ganzer Arbeitstag, und jetzt wol ten sie ihm auch noch den Sonntag stehlen. Mühsam klappte er ein Auge auf.
    Fräulein Vong trug eine Arbeitshose aus Cord und eine praktische, an Hals und Handgelenken zugeknöpfte langärmelige Bluse. Sie hatte ihr dünnes Haar zu Zöpfen geflochten und erinnerte Siri an die auf Mao-Postern verewigte chinesische Bäurin. Die chinesische Propaganda ging mit Gesichtszügen ebenso sparsam um, wie die Natur es bei Fräulein Vong getan hatte. Sie war zwischen dreißig und sechzig und hatte die Statur eines unterernährten Knaben.
    »Warum foltern Sie mich so? Lassen Sie mich in Ruhe.«
    »Nichts da. Sie haben sich schon letzten Monat vor dem gemeinschaftlichen Anstreichen des Jugendzentrums gedrückt. Da möchte ich Ihnen die Gelegenheit, einen Überlaufkanal zu graben, nur ungern nehmen.«
    In Vientiane war der Gemeinschaftsdienst keine Strafe; er war vielmehr eine Belohnung für brave Bürger. Ein Geschenk des Staates an das Volk. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind sol te den Stolz empfinden dürfen, der einem beim Asphaltieren einer Straße oder dem Ausbaggern eines Baches die sprichwörtliche Brust schwel en ließ. Die Regierung wusste, dass die Menschen für dieses Vergnügen mit Freuden auf ihren einzigen freien Tag verzichteten.
    »Ich bin erkältet«, sagte er und zog sich die Decke über den Kopf. Er hörte, wie sich ein Kessel plätschernd mit Wasser fül te und das Fauchen der Gasflamme. Er spürte einen Luftzug und hörte das Rascheln des Moskitonetzes, das am Wandhaken befestigt wurde. Er hörte, wie der Strohbesen über den Fußboden glitt.
    »Darum braue ich Ihnen jetzt eine kräftige Tasse Tee mit einem Schuss…«
    »Ich mag keinen Tee.«

    »Unsinn.«
    Er lachte. »Ich dachte, nach zweiundsiebzig Lebensjahren wüsste ich, was ich mag und was nicht.«
    »Sie
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