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Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: T. M. Goeglein
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Zeit reif ist, irgendwo anders wieder aufzutauchen. Manche dieser Türen sind greifbar und real, wie jene, mit deren Hilfe ich mich durch ganz Chicago bewege, während es sich bei anderen eher um Gesetzeslücken oder Steuerschlupflöcher handelt, um Bruchstellen im System oder Gummiparagrafen. Das Notizbuch skizziert beispielsweise verschiedene einfache Methoden, um an falsche Papiere zu kommen – Geburtsurkunden, Sozialversicherungskarten, Führerscheine, Pässe, sogar Büchereiausweise – und das sind letztlich auch Capone-Türen, da sie es einem Menschen gestatten, undercover durch die Welt zu gehen.
    Eine der vielen nützlichen Telefonnummern im Notizbuch gehört zu einem Anschluss im Polizeirevier.
    Ich sagte: »J. Edgar Hoover trug Damenunterwäsche.«
    Nach einer kurzen Pause fragte eine Stimme, was ich bräuchte.
    Ich erklärte mein Anliegen, eine Computertastatur klackerte, und mein Ansprechpartner nannte mir einen Treffpunkt.
    Ich erkannte ihn an seinem Mittagessen – er hatte mir gesagt, ich solle auf dem Platz am Daley Center bei der Picasso-Skulptur nach einem Typen Ausschau halten, der Erdnussbutter aus einem Glas aß. Er war der klassische Maulwurf, ein völlig unauffällig wirkender Syndikatsmann, der sich als Archivar in die Polizeibehörde eingegraben und sich damit Zugang zu dem riesigen Computernetz verschafft hatte, das eine Vielzahl von Informationen bereithielt. Nein, erklärte er, über einen Detective namens Dorothy Smelt gab es in der Chicagoer Polizei keinerlei Unterlagen. Ich nannte ihm andere Cops, die für sie gearbeitet hatten; irgendwer musste doch etwas wissen. Er hielt inne, lutschte mit der Zunge die Erdnussbutter vom Gaumen und führte eine Hand langsam am Gesicht vorbei, von der Stirn bis zum Kinn, als ob er einen Vorhang herunterließ. Inzwischen habe ich begriffen, dass das in der geheimen Zeichensprache der Polizei so viel bedeutete wie: Niemand hat etwas gesehen, und niemand wird jemals etwas sagen.
    Elzy war also verschwunden.
    Sie hatte ihr Leben als Detective Smelt durch ihre eigene Capone-Tür verlassen.
    Mein Bauchgefühl sagte mir, dass sie irgendwann durch eine andere Tür wieder zurückkommen würde, als ein anderer Mensch, aber noch immer erfüllt von dem kranken Ehrgeiz, das Syndikat zu kontrollieren.
    In einer Hinsicht hatte sie recht: Ich glaube, dass diese Art von Übernahme im 21. Jahrhundert ohne das Notizbuch unmöglich ist.
    Offiziell heißt es, das Syndikat sei schwach, zerbrochen und nach vielen Prozessen und Verhaftungen so gut wie erledigt. Dass diese Darstellung tatsächlich von vielen Leuten geglaubt wird, zeigt nur, wie gut es das Outfit in den hundert Jahren seines Bestehens gelernt hat, sich unsichtbar zu machen wie ein Chamäleon. Die Zeiten, in denen die Organisation sich ganz offen zeigte, als Al Capone in seinem offenen Rolls-Royce die State Street hinunterkutschierte, Zigarren für hundert Dollar rauchte und den Waisenkindern sein Kleingeld in die Hand drückte – sie liegen so lange zurück, als hätte es sie nie gegeben. Die Organisation hat sich inzwischen so tief in legale Unternehmen hineingebohrt, dass mit jedem Latte Macchiato, mit jedem heruntergeladenen Song oder jedem Telefon-Upgrade ein paar Dollar in die Taschen des Syndikats fließen. Ja, es gibt noch immer eine Menge Limousinenverleiher und Zementhersteller und »Gentlemen-Clubs«, in denen das Management ganz offen von seinen guten Beziehungen spricht, aber ganz allgemein ist die Öffentlichkeit der schwachsinnigen Geschichte aufgesessen, laut der das Syndikat so unbedeutend geworden ist, dass es kaum noch existiert.
    Bis plötzlich, wie aus dem Nichts, ein Körper ohne Kopf und Hände auftaucht, auf den sechsundsechzig Mal eingestochen wurde und der nun im Abwasserkanal treibt.
    Ein Richter begeht Selbstmord, und unter seinem Bett werden in einem Schuhkarton sechshunderttausend Dollar in bar gefunden.
    Ein Wochenende lang kommt es in der South Side immer wieder zu Schießereien, die in Chicago als »Auseinandersetzungen zwischen Drogenbanden« abgetan werden, ohne dass sich jemand darüber Gedanken macht, wer eigentlich die Drogen verkauft und wie die heutigen Straßengangs dazu eingespannt werden.
    Nur das Notizbuch zeigt auf, wie man all die Kräfte innerhalb des Syndikats kontaktieren und nutzen kann. Es enthält die Vergangenheit und Gegenwart dieser schlangengleich gewundenen, unsichtbaren Organisation und bestimmt damit auch die Entwicklung der Zukunft. Vor allem aber
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