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Coelho,Paul

Coelho,Paul

Titel: Coelho,Paul
Autoren: Schutzengel
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nicht enthüllt. Doch
Paulo presste den Nagel seines Zeigefingers in den Daumen, bis der Schmerz
unerträglich war. Schmerz verhindert immer, dass man Unsinniges denkt.
    »Ich möchte dich etwas fragen«,
sagte Chris.
    »Frag mich nicht nach dem Wunder.
Es wird geschehen oder eben nicht. Wir wollen keine Energie mit Diskussionen
darüber verschwenden.«
    »Nein, darum geht es nicht.«
    Sie zögerte lange, bis sie etwas
sagte. Paulo war ihr Mann. Er kannte sie besser als sonst jemand. Sie hatte
Angst vor seiner Antwort, weil seine Worte - wie die eines jeden Ehemannes -
ein anderes Gewicht hatten als die anderer Menschen.
    Dennoch beschloss sie, ihn zu
fragen. Sie hielt es nicht aus, die Frage für sich zu behalten.
    »Glaubst du, dass ich mich falsch
entschieden habe?«, sagte sie. »Dass ich mein Leben verpfuscht habe, indem ich
gesät habe, mich über das Feld gefreut habe, das um mich herum wuchs, anstatt
das große Gefühl zu erleben, das die Jagd einem gibt?«
    Er schaute, während er ging, zum
Himmel. Er dachte noch an die Wette und an die Flugzeuge.
    »Ich sehe oft Menschen wie J.«,
sagte er schließlich, »die in Frieden mit sich sind und durch diesen Frieden
eins mit Gott werden. Ich sehe dich an, die du es vor mir geschafft hast, mit
deinem Engel zu sprechen, obwohl ich deswegen hergekommen bin. Ich sehe, wie
leicht du einschläfst, während ich ans Fenster trete und mich frage, warum das
Wunder, auf das ich warte, nicht geschieht. Und ich frage mich: Habe ich etwa
den falschen Weg gewählt?«
    Er wandte sich ihr zu.
    »Was meinst du? Habe ich den
falschen Weg gewählt?« Chris nahm seine beiden Hände. »Nein. Sonst wärst du
unglücklich.«
    »Du auch, wenn du meinen Weg
gewählt hättest.« >Wie gut, das zu wissen<, dachte sie. >Das sollte
ich nie vergessen<.
     
    N och ehe
der Wecker klingelte, stand er lautlos auf. Er schaute hinaus: Draußen war es
noch dunkel. Chris schlief unruhig. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte
er, sie zu wecken, ihr zu sagen, wohin er ging, sie zu bitten, für ihn zu beten
- aber er verwarf es sofort. Er würde ihr alles erzählen, wenn er zurückkam.
Außerdem war es da, wohin er unterwegs war, nicht gefährlich.
    Er machte im Badezimmer das Licht
an, füllte seine Wasserflasche. Dann trank er so viel Wasser, wie er konnte -
er wusste nicht, wie lange er draußen bleiben würde.
    Er zog sich an, nahm die
Landkarte, vergegenwärtigte sich noch einmal seine Route. Dann machte er sich
fertig, um zu gehen.
    Doch er fand den Autoschlüssel nicht.
Er suchte in seinen Taschen, im Rucksack, auf dem Nachttisch. Er überlegte
noch, ob er die Lampe anknipsen sollte - doch das war zu riskant, er könnte
Chris aufwecken, das Licht aus dem Badezimmer war ausreichend. Er durfte keine
Zeit mehr verlieren - jede Minute, die er hier verbrachte, war eine Minute
weniger, die er auf seinen Engel warten konnte. In vier Stunden würde die
Wüstensonne unerträglich sein.
    >Chris hat den Schlüssel
versteckt<, dachte er. Sie war jetzt eine andere Frau, redete mit ihrem Engel,
ihre Intuition war entschieden gewachsen. Vielleicht hatte sie ja seine Pläne
herausbekommen - und hatte Angst.
    >Warum sollte sie Angst
haben?< Nachts, als er sie mit Vahalla am Rande
des Abgrunds hatte stehen sehen, hatten beide einen heiligen Schwur getan:
niemals mehr in dieser Wüste ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Der Todesengel war
mehrfach ganz nah an ihnen vorbeigekommen, und es war nicht ratsam, die Geduld
des Schutzengels zu oft auf die Probe zu stellen. Chris kannte ihren Mann gut
genug, um zu wissen, dass er sein Versprechen nicht brechen würde. Deshalb ging
er kurz vor Sonnenaufgang - um die Gefahren der Nacht und die Gefahren des
Tages zu meiden.
    Und dennoch hatte sie Angst und
hatte den Schlüssel versteckt.
    Er ging, entschlossen, sie zu
wecken, zum Bett. Und blieb stehen. Ja, es gab einen Grund. Es war nicht die
Sorge um seine Sicherheit, wegen möglicher Gefahren, in die er geraten könnte.
Es war Angst, aber eine ganz andere Angst - die Angst, dass ihr Mann eine
Niederlage erleiden könnte. Sie wusste, dass Paulo alles versuchen würde. Ihnen
blieben noch genau zwei Tage in der Wüste.
    >Es war gut, dass du diese
Vorsichtsmaßnahme getroffen hast, Chris<, dachte er und lachte in sich
hinein. >Es würde gut zwei Jahre dauern, bis ich eine Niederlage wie diese
vergessen würde, und in dieser Zeit müsstest du mich ertragen, schlaflose
Nächte mit mir verbringen, meine schlechte Laune erdulden,
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