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Codex Alera 06: Der erste Fürst

Codex Alera 06: Der erste Fürst

Titel: Codex Alera 06: Der erste Fürst
Autoren: Jim Butcher
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besteht doch die Möglichkeit, dass ein größeres und stärkeres Geschöpf den schwächeren das Essen wegnimmt. Es ist ein Gebot der Logik, dass sie allein essen sollten. Und doch tun sie es nicht.«
    »Es geht um mehr als nur um bloße Nahrungsaufnahme.«
    Die Königin musterte das kleine Haus. »Die Aleraner verschwenden Zeit damit, dass sie ihr Essen auf immer wieder unterschiedliche Weise zubereiten. Ich nehme an, das gemeinsame Essen verringert die Unwirtschaftlichkeit dieser Gewohnheit.«
    »Es erleichtert das Kochen, und das ist einer der Gründe, warum es diesen Brauch gibt«, sagte Invidia, »aber nicht der einzige.«
    Das Stirnrunzeln der Königin vertiefte sich. »Warum sollte man sonst so essen?«
    »Um beieinander zu sein«, sagte Invidia, »um Zeit miteinander zu verbringen. Das ist ein Teil dessen, was eine Familie ausmacht.«
    Bei den großen Elementaren, wie wahr! Sie konnte die paar Mahlzeiten, die sie gemeinsam mit ihrem Vater und ihren Brüdern eingenommen hatte, an einer Hand abzählen.
    »Gefühlsmäßige Bindungen«, sagte die Vordkönigin.
    »Ja«, sagte Invidia. »Und … es ist angenehm.«
    Leere schwarze Augen sahen sie an. »Warum?«
    Sie zuckte die Schultern. »Es verleiht einem ein Gefühl der Verlässlichkeit«, sagte sie. »Ein tägliches Ritual. Es ist tröstlich, diesen Teil des Tages zu haben und zu wissen, dass er täglich wiederkehren wird.«
    »Aber das wird er nicht«, sagte die Königin. »Selbst in einem natürlichen Lebensraum sind die Umstände nicht so unveränderlich. Kinder werden erwachsen und verlassen ihr Zuhause. Gewohnheiten werden von Ereignissen durchbrochen, über die sie keine Kontrolle haben. Die Alten sterben. Die Kranken sterben. Alle sterben.«
    »Das wissen sie«, sagte Invidia. Sie schloss die Augen und dachte einen Moment lang an ihre Mutter und die viel zu kurze Zeit, die es ihr vergönnt gewesen war, ihren Tisch, ihre Gesellschaft und ihre Liebe mit ihrer einzigen Tochter zu teilen. Dann öffnete sie die Augen wieder und zwang sich, die albtraumhafte Welt ringsum anzusehen. »Aber es kommt einem nicht so vor, wenn das Essen warm ist und die, die man liebt, um einen versammelt sind.«
    Die Vordkönigin sah sie scharf an. »Liebe. Schon wieder.«
    »Das habe ich dir doch schon erklärt. Es ist das grundlegendste Gefühl, das uns antreibt. Liebe zu anderen oder zu uns selbst.«
    »Hast du so deine Mahlzeiten eingenommen?«
    »Als ich noch sehr klein war«, sagte Invidia, »und nur mit meiner Mutter. Sie ist an einer Krankheit gestorben.«
    »Und es war angenehm, das Abendessen einzunehmen?«
    »Ja.«
    »Hast du sie geliebt?«
    »So, wie nur Kinder es können«, sagte Invidia.
    »Hat sie dich geliebt?«
    »Oh ja.«
    Die Vordkönigin drehte sich um und sah Invidia geradewegs an. Sie schwieg volle zwei Minuten lang, und als sie endlich sprach, waren die Wörter zur Betonung sorgfältig voneinander getrennt, was der Frage einen seltsam zögerlichen, beinahe kindlichen Anschein verlieh. »Wie hat sich das angefühlt?«
    Invidia sah die junge Frau nicht an, das junge Ungeheuer, das mittlerweile einen Großteil der Welt verwüstet hatte. Sie starrte durch das nächste Fenster das Essen an, das auf den Tisch gestellt wurde.
    Ungefähr die Hälfte der Leute dort drinnen waren Placider, die gefangen genommen worden waren, als die Vord ihre Eroberung von Ceres abgeschlossen hatten und über die sanft gewellten Ebenen im Umland der Stadt weiter vorgerückt waren. Ein alter Mann und eine Frau befanden sich darunter, die tatsächlich ein Paar waren. Es war auch eine junge Mutter dabei, die außer zwei eigenen Kindern noch drei hatte, die die Vord in ihre Obhut gegeben hatten. Neben ihr saß ein Mann mittleren Alters, ein aleranischer Bauer, der nicht klug oder schnell genug gewesen war, der Gefangennahme zu entgehen, als die Vord Alera Imperia und sein Umland angegriffen hatten. Erwachsene und Kinder waren gleichermaßen müde von einem Arbeitstag auf dem Wehrhof. Sie waren hungrig, durstig und froh über das einfache Mahl, das für sie bereitet worden war. Nach dem Essen würden sie eine Weile in dem Raum mit der Feuerstelle beisammensitzen, sich ein paar Stunden lang mit vollen Mägen und angenehm erschöpften Körpern Zeit für sich selbst nehmen und dann schlafen.
    Invidia starrte die kleine Familie an, die wie Treibholz von den Schicksalsschlägen der Eroberung und des Krieges zusammengewürfelt worden war und deshalb nur umso stärker zusammenhielt. Sogar jetzt,
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