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Clarissa

Clarissa

Titel: Clarissa
Autoren: Jude Deveraux
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Schülerin entsprang, fiel er auf die Knie und dankte Gott für die Gnade, ihn mit so einem gesegneten Kind zusammengebracht zu haben.
    Als Clarissa den alten Mönch an der Rückwand der Kirche auf den Knien liegen und mit tränenüberströmten Gesicht sein Kreuz festhalten sah, hörte sie sogleich auf zu singen und rannte zu ihm in der Angst, es sei ihm plötzlich schlechtgeworden oder, was sie noch mehr befürchtete, er wäre beleidigt von ihrem Gesang, der, wie sie wohl wußte, schrecklich laut war.
    Danach schenkte man der Ausbildung ihrer Stimme genauso viel Aufmerksamkeit wie zuvor ihrem Spiel auf den verschiedensten Instrumenten, und sie begann, Chorgruppen zusamenzustellen, indem sie jede Stimme ausnützte, die in der kleinen, von Mauern umschlossenen Gemeinde zu finden war.
    Mit einem mal war sie zwanzig Jahre alt und erwartete nun jeden Tag, daß sie wachsen oder, was sie sich verzweifelt wünschte, erwachsen sein sollte. Doch sie blieb zierlich und flach, während die anderen Mädchen in ihrem Alter heirateten und Babies bekamen. Clarissa mußte sich damit begnügen, ihnen die Wiegenlieder vorzusingen, die sie für die zahnenden Krippenkinder komponiert hatte.
    Was für ein Recht hatte sie, unzufrieden zu sein, dachte sie, während sie sich an den Apfelbaum klammerte. Nur weil die jungen Männer sie durchweg mit großem Respekt behandelten — nur John Thorpe bildete da natürlich eine Ausnahme, der sich überhaupt zu allen so benahm, wie er roch —, war kein Grund, unzufrieden zu sein. Als sie sechzehn war und im heiratsfähigen Alter, hatten vier Männer sich als Bewerber um ihre Hand gemeldet; doch der Priester meinte, ihre Musik sei ein Zeichen, daß sie für Gottes Arbeit bestimmt sei und nicht für die Lust eines sterblichen Mannes, und weigerte sich daher, in eine Heirat einzuwilligen. Clarissa war damals sehr erleichtert gewesen, doch je älter sie wurde, um so mehr war sie sich ihrer Einsamkeit bewußt. Sie liebte ihre Musik und liebte besonders, was sie für die Kirche machte, doch zuweilen… wie im Sommer vor zwei Jahren, als sie vier Gläser von einem sehr starken Wein bei der Hochzeit der Bürgermeisterstochter getrunken hatte, nahm sie ihre Zither, stellte sich auf einen Tisch und sang ein sehr, sehr unzüchtiges Lied, das sie Strophe für Strophe improvisierte. Natürlich hätte der Priester schon bei der ersten Strophe das Lied unterbrochen, aber da er mehr Wein getrunken hatte als irgendwer anderer und sich im Gras wälzte, sich vor Lachen den Bauch haltend, war er natürlich nicht imstande, irgend jemanden von irgend etwas abzuhalten. Das war ein wunderbarer Abend für sie gewesen, als sie ein Teil der Leute war, die sie ihr Leben lang gekannt hatte, nicht etwas absonderliches, durch die Weisung des Priesters von der Gemeinde Getrenntes wie das Stückchen Schädelknochen vom Haupt des heiligen Petrus, das in einem Schrein in der Kirche verwahrt wurde — Ehrfurcht einflößend, aber unberührbar.
    Nun wandte sie sich, wie stets, wieder in Gedanken ihrer Musik zu. Tief einatmend, die Luft so verteilend, wie man es ihr beigebracht hatte, begann sie eine Ballade von der Einsamkeit des Lebens zu singen, von einer jungen Frau, die nach ihrer eigenen wahren Liebe sucht.
    »Und hier bin ich, kleiner Singvogel«, tönte eine Männerstimme in ihrem Rücken.
    So vertieft war sie in ihren Gesang — und tatsächlich war ihre Stimme ja von einer Kraft, daß sie jedes andere Geräusch überdeckte —, so konzentriert auf ihr Lied, daß sie die drei jungen Männer auf ihren Pferden gar nicht kommen hörte. Es waren kräftige, gesunde und lustbegierige Burschen, wie es nur die Söhne von Edelleuten sein konnten, und ihre Gesichter waren gerötet von einer, wie sie vermutete, durchzechten Nacht voller leiblicher Genüsse. Ihre Kleider aus kostbarem Samt mit Pelzbesatz und blinkenden Edelsteinen waren eine Pracht, die sie bisher nur auf dem Altar bewundert hatte. Verwirrt sah sie zu den Burschen hoch und bewegte sich nicht einmal, als der stattlichste von ihnen — ein Bursche mit blonden Haaren — aus dem Sattel stieg.
    »Komm, Dirne«, sagte er, und sie roch seinen üblen Atem, »kennst du nicht einmal deinen eigenen Grundherrn? Gestatte, daß ich mich dir vorstelle. Ich bin Pagnell, in nicht allzulanger Zeit Graf von Waldenham. «
    Der Name weckte Clarissa aus ihrer Trance. Die große, habgierige, häßliche Familie Waldenham preßte aus den Bauern auf den Dörfern den letzten Penny heraus. Hatten
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