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Clancy, Tom

Clancy, Tom

Titel: Clancy, Tom
Autoren: Dead or Alive
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viel von Landesgrenzen und schenkte
ihnen allenfalls minimale Beachtung. Für die Einheimischen war nur von Bedeutung,
welchem Volksstamm sie angehörten, in welche Familie sie geboren waren und
welcher Spielart des muslimischen Glaubens sie anhingen. Hier hatten Erinnerungen
hundert Jahre lang Bestand, Geschichten mehr als das — und die alten gehegten
Feindseligkeiten noch viel länger. Die Einheimischen prahlten immer noch stolz
damit, dass ihre Vorfahren Alexander den Großen aus ihrem Land vertrieben
hatten, und manch einer konnte noch jederzeit die Namen aller Krieger auflisten,
welche die bis dahin unbesiegbaren makedonischen Lanzenmänner das Fürchten
gelehrt hatten. Am liebsten sprachen sie jedoch von den Russen und darüber, wie
viele sie getötet hatten. Die meisten hatten sie aus dem Hinterhalt erschossen,
andere Auge in Auge erstochen. Wenn sie sich diese Geschichten, diese
beharrlich von Vätern an Söhne überlieferten Legenden grinsend erzählten,
lachten sie aus vollem Halse. Driscoll war sich jedoch sicher, dass die
russischen Soldaten, die Afghanistan überlebt hatten, über ihre Erfahrungen
nicht lachen konnten. Nein, die Leute hier waren ganz und gar nicht nett, das
war ihm klar. Sie waren erschreckend brutal. Wetter, Krieg und Hunger hatten
sie abgehärtet, und sie versuchten einfach nur in einem Land zu überleben, das
alles daranzusetzen schien, möglichst viele seiner Einwohner umzubringen.
Driscoll wusste, er sollte für diese Menschen Mitleid empfinden. Gott hatte ihnen
einfach übel mitgespielt, und daran trugen sie wahrscheinlich keine Schuld,
aber Driscoll eben auch nicht, und außerdem ging ihn das alles nichts an. Sie
waren schlicht Feinde seines Landes, dessen Machthaber ihm und seinen Männern
den Marschbefehl gegeben hatten, und jetzt waren sie da. Das war alles und der
einzige Grund, warum er in diesen gottverdammten Bergen herumkroch.
    Ein
weiterer Grund war dieser Bergrücken. Seit sie aus dieser Deltaversion des
Boeing CH-47 Chinook gesprungen waren - übrigens der einzige zur Verfügung
stehende Hubschrauber, der in dieser Höhe eingesetzt werden konnte —, waren sie
bereits fünfzehn Kilometer über spitze Felsen und Geröll hinauf gestürmt.
    Da ... der Kamm. Noch fünfzig Meter.
    Driscoll
verlangsamte das Tempo. Er führte den Spähtrupp als Stabsunteroffizier (Senior
NCO) an, während seine für solche Einsätze ausgebildeten Männer sich auf etwa
hundert Meter hinter ihm verteilten. Alarmbereit ließen sie die Blicke nach
rechts und links, nach oben und unten schweifen und hielten ihre
M4-Sturmgewehre kampfbereit im Anschlag. Sie rechneten damit, dass auf dem Kamm
Wachposten stationiert waren. Die Einheimischen hatten zwar keine militärische
Ausbildung, aber sie waren keineswegs dumm. Darum führten die Ranger diese
Operation in der Nacht durch —01:44 zeigte seine Digitaluhr. Die dicken, hoch
stehenden Wolken sorgten dafür, dass weder Mond noch Sterne sie beleuchten
konnten. Ideales Wetter zum Jagen, dachte er.
    Sein
Augenmerk war mehr nach unten als nach oben gerichtet, denn er wollte jedes
Geräusch vermeiden, das er mit den Füßen verursachen könnte. Ein einziger losgetretener
Stein, der den Hang runterrollte, konnte sie alle verraten. Und das durfte
nicht passieren. Damit wären die drei Tage und die fünfzehn Kilometer, die sie
ihrem Ziel so nahe gebracht hatten, umsonst gewesen.
    Noch
zwanzig Meter zum Kamm. Sechzig Fuß.
    Mit den
Augen suchte er die Kammlinie nach einer Bewegung ab. Nichts. Noch ein paar
Schritte, Augen nach links und rechts, seinen schallgedämpften Karabiner fest
an die Brust gedrückt und im Anschlag, den Finger leicht auf dem Abzugsbügel
ruhend, damit er sofort schussbereit war.
    Außenstehenden
wäre nur schwer zu erklären, wie schwierig und ermüdend dies alles war und wie
viel Kraft es kostete — sehr viel mehr als ein normaler fünfzehn Kilometer
langer Marsch durch Wälder. Und das alles in dem Bewusstsein, jederzeit auf
jemanden stoßen zu können, der seinen Finger auf dem Abzug einer auf Dauerfeuer
stehenden AK 47 Kalaschnikow hatte, um dir den Arsch zu vierteilen. Seine
Männer würden sich um so jemanden kümmern, aber Driscoll wusste, dass ihm das
auch nicht mehr helfen würde. Er tröstete sich damit, dass er das in solch
einem Fall auch nicht mehr mitkriegen würde. Er hatte genug Feinde getötet, um
zu wissen, wie das ging: Man machte gerade noch einen Schritt mit lauernden
Augen und Ohren ... und dann nichts mehr.
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