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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe
Autoren: Andreas Pittler
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jahrelang im Krieg gewesen war und endlich wieder in die Heimat zurückkehrte, dann stieg er ja wohl kaum in einem Hotel ab, wenn er Familie besaß, die auf ihn wartete. Welches Geheimnis rankte sich um den jungen Herrn, fragte sich Bronstein. Gab es mit einem Mal zwei Verdächtige?
    „Hallo?“
    Ach ja, der Portier. Der war immer noch in der Leitung. „Entschuldigung, was haben Sie gesagt?“
    „Ob ich ihm was ausrichten soll, dem Herrn Bergmann.“
    „Nein. Keinesfalls. Aber seien S’ bitte so gut und haben S’ ein Auge auf ihn. Ich gebe Ihnen meine Nummer hier im Präsidium. Rufen S’ bittschön an, wenn der Herr Bergmann die Rechnung verlangen sollte, und halten S’ ihn dann hin, bis ich bei Ihnen bin.“
    „Na gut, wenn Sie das sagen. Mir soll’s recht sein.“
    Bronstein bedankte sich und hängte den Hörer wieder in seine Halterung. Ab sofort musste er sich also über beide Bergmannbuben Gedanken machen. Wenn er das zuvor entworfene Szenario einmal außer Acht ließ, welche Möglichkeiten taten sich nun im Leuchte der neuesten Informationen sonst auf, fragte er sich.
    Der Willi! Kam der überhaupt für die Tat in Frage? Welches Motiv sollte er haben, vor allem, wenn er wirklich erst am Mittwoch in Wien eingetroffen war? Es war unwahrscheinlich, dass er dann noch die Zeit gehabt hätte, die Feigl kennenzulernen. Gar nicht zu reden davon, weshalb er solchen Groll gehegt haben sollte, um sie zu ermorden. Doch immerhin, führte Bronstein seinen Gedanken weiter, gab es zwei andere Varianten, in denen eine Beziehung zwischen Willi und der Feigl sehr wohl möglich war. Zum einen war es denkbar, dass Willi schon länger in Wien war. Er war, wie es hieß, in der Ukraine stationiert gewesen. Unter Umständen hatte man ihm Urlaub bewilligt oder ihn überhaupt aus der Armee entlassen, als sich der Untergang der Monarchie abzuzeichnen begonnen hatte. Wäre derlei der Fall gewesen, dann könnte er bereits seit zwei oder gar drei Wochen in Wien weilen. Und wenn es stimmte, was seine Angehörigen ausgesagt hatten, dann war er ja zuletzt nicht sonderlich gesprächig gewesen. Möglicherweise hatteihn der Krieg derart verändert, dass er von seinem vergangenen Leben nichts mehr wissen wollte. Er kam also zurück nach Wien, lernte da zufällig die Feigl kennen, verliebte sich in sie und musste dann feststellen, dass sie nicht in ihn verliebt war. Und als er dann auch noch bemerkte, dass sie vielmehr mit dem älteren Bruder, diesem Schatten einer ungeliebten Vergangenheit, ausging, da konnte der junge Herr nicht mehr an sich halten.
    Nun, fand Bronstein, das klang plausibel. Mehr sogar als das Szenario, das er rund um Fritz Bergmann entworfen hatte. Eine Art Eifersuchtsmord, begangen aus enttäuschter Liebe. Vor seinem geistigen Auge sah Bronstein einen bühnenreifen Auftritt à la Othello, wo Willi Bergmann seine Hände um den Hals der Feigl legte und mit blecherner Stimme fragte: „Hast du zur Nacht gebetet, Hannah?“
    Die zweite Variante war etwas weniger glamourös, deshalb aber nicht viel unwahrscheinlicher. Willi Bergmann versteckte sich vor seiner Familie, weil er irgendetwas auf dem Kerbholz hatte. Es konnte sein, dass er Geld unterschlagen hatte, mit der Regimentskasse durchgebrannt war, sich unerlaubt von der Truppe entfernt hatte, kurz, dass er etwas getan hatte, dessentwegen er Verfolgung fürchtete. Und durch irgendeinen Zufall hatte die Feigl Kenntnis davon erlangt. Für den jungen Bergmann war dies so lange kein Problem gewesen, als er davon ausgehen konnte, dass es niemanden gab, dem sie darüber berichten konnte. Als er aber erfuhr, dass die Feigl mit seinem Bruder tändelte, geriet er in Panik und meinte, schnell handeln zu müssen. Mit bekanntem Ergebnis.
    Der Major dämpfte eine weitere Zigarette in dem bereits restlos überquellenden Aschenbecher aus. Er kam zu dem Schluss, dass eigentlich viel mehr für Willi als Täter sprach. Nach wie vor gab es keinerlei Motiv für Fritz, aber schon zwei mögliche Motive für Willi. Also hielt man sich auch besser an ihn, zumaler sich im Gegensatz zu seinem Bruder als überaus lichtscheu erwiesen hatte.
    Bronstein sah auf die Uhr. Es war halb sechs. Kurzentschlossen griff er noch einmal nach dem Telefon und ließ sich ein weiteres Mal mit dem Hotel „Fuchs“ verbinden. Derselbe Portier meldete sich erneut.
    „Ist der Herr Bergmann im Augenblick zugegen?“
    „Ja, ist er.“
    „Gut, ich bin in einer Viertelstunde bei Ihnen. Sollte der Herr Bergmann in der
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