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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe
Autoren: Andreas Pittler
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vorhanden war, ging buchstäblich vor die Hunde. Ein Spiegelbild der politischen Entwicklung. Bronstein schloss die Augen und träumte für einen Augenblick von einer wunderschönen Südseeinsel mit Kokospalmen, blauem Himmel und goldenem Sonnenschein. Das wäre ein Leben, dachte er, so ganz anders als das trostlose hier.
    Und doch musste getan werden, was nun einmal zu tun war. Bronstein dämpfte die Zigarette aus und hob die rechte Hand. „Zahlen!“, rief er nach hinten. Der Wirt trat ein weiteres Mal an seinen Tisch heran und nannte den erforderlichen Betrag, den Bronstein mit einem kleinen Trinkgeld erlegte. Er griff nach seinem Mantel und erhob sich. Nach einem kurzen Gruß verließ er das Lokal und hielt nun endlich auf das Präsidium zu.
    Als er dort sein Büro betrat, war Pokorny gerade dabei, seinen Schreibtisch aufzuräumen. „Du kommst doch noch?“
    „Wie du siehst! Sag bloß, du wolltest schon gehen?“
    Pokorny druckste verlegen herum: „Eigentlich schon.“ Wenn er es recht bedachte, so sagte sich der Major, war ihm Pokorny bei dem, was vor ihm lag, ohnehin keine Hilfe. Er musste die ganze Sache noch einmal für sich begrübeln, ehe er jemand anderen mit seinen Schlussfolgerungen konfrontieren konnte. Bronstein machte daher eine wegwerfende Handbewegung. „Is scho’ recht“, meinte er nur, „mach dir einen schönen Abend. Wir sehen uns morgen in alter Frische.“ Pokorny war sichtlich dankbar und sah zu, dass er aus dem Büro kam.
    Bronstein aber kehrte zu seinen ursprünglichen Überlegungen zurück. Wie er es auch drehte und wendete, Fritz Bergmann war der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Geschichte. Der Mann war objektiv derart hochgradig verdächtig, dass ihn allein sein Bahnticket davor bewahrte, sofort festgenommen zu werden.
    Was aber, wenn er gar nicht mit jenem Zug nach Ungarn gefahren war? Konnte es nicht möglich sein, dass er in Wirklichkeit erst am nächsten Morgen Wien verlassen hatte? Es konnte keine große Schwierigkeit sein, an eine entwertete Fahrkarte zu kommen. Vielleicht hatte sie jemand achtlos liegen gelassen, da er sie, an seinem Fahrziel angekommen, nicht mehr benötigte. Oder der junge Bergmann hatte sich einfach für beide Züge ein Ticket gelöst und dem Schaffner einfach beide zum Entwerten hingehalten. Unter Umständen besaß Fritz Bergmann einen Freund, der so zum unfreiwilligen Komplizen geworden war, indem er am Vorabend nach Ungarn gefahren war, zum Zwecke von irgendwelchen Vorarbeiten zum Beispiel, und dem hatte der junge Herr Fritz dann die Fahrkarte abgeluchst. Ja, schloss Bronstein, das Alibi des Fritz Bergmann stand und fiel mit diesem einen Ticket, und das konnte sich Bergmann eben auch auf anderem Wege besorgt haben. Und damit hätte er dann auch genügend Zeit gehabt, die Feigl zu ermorden. Immerhin hatte der Kellner vom Silberwirt ausgesagt, die beiden hätten das Lokal gemeinsam verlassen. Vielleicht hatte der Bergmann die Feigl unter dem Vorwand in den Betrieb gelockt, ihr dort etwas Wichtiges zeigen zu müssen, und sie war ihm arglos gefolgt. Unter Umständen hatte er ihr eine neue Arbeitsstelle versprochen, bei der sie gut verdienen und ihr Talent entfalten können würde. Es war aber auch denkbar, dass Bergmann der armen Feigl so den Kopf verdreht hatte, dass sie am Ende bereit gewesen war, ihre keusche Haltung möglicherweise zu revidieren. Sie ging also mit ihm in die Polsterei, und er, aus Gründen, die noch zu eruieren waren, legte dort im wahrsten Sinne des Wortes Hand an sie.
    Dann blieb allerdings die Frage, wo sich Bergmann bis zum nächsten Tag versteckt gehalten hatte. Im Betrieb konnte er keinesfalls bleiben, denn offiziell war er ja in Ungarn. Jeder, der ihn dort entdeckt hätte, vor allem aber sein Vater und dieČudnow, hätten angesichts der Leiche augenblicklich eins und eins zusammenzählen können. Der junge Bergmann brauchte also einen Aufenthaltsort. Wenn die Tat nun kein spontaner Akt, sondern von ihm von langer Hand geplant gewesen war, dann hatte er sicherlich auch diese Frage zuvor bedacht.
    Bronstein wollte eben darangehen, sich zu überlegen, wo Bergmann die Nacht verbracht haben könnte, als ihn die Frage nach dem Motiv nochmals beschäftigte. Das Warum war ganz entschieden der Schwachpunkt seiner Theorie. Ganz objektiv besaß Bergmann keinerlei Grund, sich der Feigl gewaltsam zu entledigen. Selbst wenn sie ihn unter Druck gesetzt hätte, was das beginnende Verhältnis anbelangte, so wäre das noch lange kein Grund für
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