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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe
Autoren: Andreas Pittler
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gestorben, und in den Arbeiterbezirkenwütete sie wie seinerzeit die Pest. Man konnte nur hoffen, dass Vaters Konstitution gut genug war, den Angriff erfolgreich abzuwehren.
    Bronstein hatte im Lichte dieser Entwicklung nicht die geringste Lust, ins Büro zurückzukehren. Jetzt brauchte er erst einmal eine Stärkung, und so lenkte er seine Schritte fast automatisch in die Herrengasse, um dort im „Café Herrenhof“ einen echten Kaffee zu sich zu nehmen. Die Wieden war rasch durchquert, und an der Oper vorbei marschierte Bronstein zielstrebig in die Augustinerstraße, um von dort das Kaffeehaus anzusteuern. Eine halbe Stunde nachdem er sich von seiner Mutter verabschiedet hatte, öffnete er die Pforte des Lokals. In mehreren Schichten durch den Raum wabernde Rauchschwaden machten ihm das Sehen schwer, und so brauchte er eine Weile, um sich zu orientieren.
    „Bronstein, altes Haus, was verschlägt dich hierher?“
    Der wohltönende Bariton gehörte Kisch. Bronstein sah ihn an einem der Tische sitzen, umgeben von zwei weiteren Männern und einer Frau. „Komm schon her, du Stütze des Reiches, du, und setz dich zu uns.“
    Bronstein war sich nicht sicher, ob dies ratsam war. Kisch hatte sich gerade in den letzten Tagen nachhaltig als Linksradikaler exponiert, und in solcher Gesellschaft sollte man sich als Polizist wohl prinzipiell nicht blicken lassen. Andererseits war Kisch ein alter Freund, und dieses Faktum durfte man auch nicht gänzlich außer Acht lassen. Bronstein machte also vorsichtig ein paar Schritte auf den Tisch zu und sah sich dabei unauffällig im Lokal um. Er entdeckte niemanden, der sein Zusammensein mit Kisch als kompromittierend hätte empfinden können, und so leistete er schließlich Kischs Einladung Folge.
    Kisch gab sich hinsichtlich seines Äußeren betont militärisch. Er trug einen grauen Uniformrock, dessen oberster Knopf offen war. Über einer Stuhllehne hing ein Militärmantel,der offensichtlich ebenfalls ihm gehörte. Neben ihm saß ein Mann von etwa 30 Jahren, der alles andere denn heroisch wirkte. Bronstein schätzte ihn als Buchhalter oder Bankbeamten ein, hatte der Mann doch ein rundliches Gesicht mit dem Ansatz eines Doppelkinns sowie dicke Augengläser. Daneben saß ein schmächtiges Bürschchen mit eingefallenen Wangen, das sich eine Zigarette drehte, wiewohl es eben eine ausgedämpft hatte.
    Doch Bronstein registrierte Kischs Begleiter nur beiläufig. Viel mehr interessierte ihn die Frau, die den drei Männern gegenübersaß. Ihr rotes Haar glühte über der schlichten, schwarzen Lederjacke, die ihren Oberkörper umschloss, und ihre dunklen Augen funkelten von innerem Feuer. Ihr Blick war verwegen, als kennte sie keinerlei Zaudern oder Zögern, sie schien voller Entschlossenheit, die Welt aus den Angeln zu heben. So, dachte Bronstein, musste Penthesilea aufgetreten sein. Allein schon die Art, wie sie kühn ihr Kinn nach vorne streckte und nur durch die Kraft eines Wortes ihre Begleiter verstummen ließ! Kisch, spann Bronstein seine Gedanken weiter, musste diese Frau direkt aus Rotrussland importiert haben, eine dieser Amazonen, die dort als Politkommissarinnen die Weißen das Fürchten lehrten. Bronstein wähnte sich unbeobachtet und riskierte einen Blick in die Augen der Frau, und er fand, aus ihnen sprach die ungebändigte Wildheit einer unbezähmbaren Löwin. Die ganze Erscheinung dieser Frau war eine vollendete Symphonie von Kraft und Schönheit. Eilig sah Bronstein zu Boden, als er das Gefühl bekam, der Frau war seine Neugier nicht länger entgangen.
    „Hörst du mir überhaupt zu?“
    Das war Kisch. Und er war offenbar ungehalten darüber, dass Bronstein zu zerstreut war, den Ausführungen des Journalisten zu lauschen. „Tut mir leid, Egonek“, sagte Bronstein daher, „ich war in Gedanken versunken. Mein Vater liegtnämlich krank zu Bett.“ Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als er sich schon schämte. Seinen kranken Vater vorzuschieben, das war wahrhaft unangemessen. Aber wer blamierte sich schon freiwillig? „Was hast du gesagt?“
    „Ich habe dir meine Begleiter vorstellen wollen, du Zyklop.“
    „Ja, bitte, unbedingt. Ich bitte nochmals um Vergebung.“ Kisch schien besänftigt. „Hier haben wir Franz Koritschoner, ein hervorragender Vertreter der heimischen Arbeiterklasse und führender Repräsentant der eben erst gegründeten Kommunistischen Partei.“ Der Asket verbeugte sich leicht.
    „Dieser Mann hier“, dabei klopfte Kisch dem Dicken jovial auf
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