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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe
Autoren: Andreas Pittler
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die Schulter, „ist die Zierde der heimischen Literatur. Franz Werfel, von dem du sicher schon gehört hast.“
    Bronstein konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass ihm dieser Name jemals untergekommen wäre, aber um sich keine Blöße zu geben, murmelte er: „Sicher, wer kennt Franz Werfel nicht.“ Nun, er kannte ihn nicht. Und er war ihm auch rechtschaffen egal. Ihn interessierte nur die rothaarige Schönheit, und er hoffte inständig, Kisch würde sie nun endlich vorstellen.
    „Und das“, dabei deutete Kisch nachlässig auf die Frau, „ist unsere Jelena. Aber alle Welt nennt sie Jelka.“
    Bronstein verbeugte sich betont tief. „Fräulein Jelka.“
    „Nix Fräulein“, knurrte die Politkommissarin, „ich sag ja auch nicht Männlein zu dir, Kieberer.“ Bronstein schluckte.
    „A Kiwara is des?“ Koritschoners Lächeln gefror.
    „Regt euch nicht auf, Herrschaften“, blieb Kisch gelassen, „der Mann ist absolut in Ordnung. Dafür verbürge ich mich. Gell, Bronstein?“ Nun erntete der Major das Schulterklopfen Kischs.
    „Bronstein?“ Die Politkommissarin wurde neugierig, „Bist vielleicht mit unserem Leo verwandt?“
    Bronstein wusste natürlich, auf wen Jelka anspielte. Bis zum Ausbruch des Krieges war Leo Bronstein Stammgast im „CaféCentral“, keine hundert Meter vom „Herrenhof“ entfernt, gewesen, und hatte dort mit Alfred Adler immer Schach gespielt. Der andere Bronstein war als russischer Revolutionär amtsbekannt, so sehr sogar, dass Außenminister Berchthold im Vorjahr, als er von der Revolution in Russland erfahren hatte, nur meinte: „Revolution in Russland? Wer soll denn die machen? Vielleicht der Herr Bronstein aus dem Café Central?“ Nun, es war der Herr Bronstein aus dem Café Central gewesen! Er nannte sich seit geraumer Zeit Trotzki, und als solcher führte er die von ihm geschaffene Rote Armee an, die im Kampf gegen die Anhänger des Zaren, die sogenannten Weißen, stand. Gemeinsam mit dem Spitzbart Lenin galt er als unumstrittener Führer der russischen Kommunisten, die sich Bolschewiki nannten, was, wie Bronstein einmal von Kisch erfahren hatte, „Mehrheitler“ bedeutete, da Lenin und Trotzki gegen die Gemäßigten in der Partei, die seitdem „Menschewiki“, also „Minderheitler“, hießen, die Oberhand behalten hatten. Und da die Bolschewiki die Macht in Russland errungen hatten, galten sie jedem Kommunisten in Europa als wahre Helden. Und dass Jelka von „unserem Leo“ gesprochen hatte, wies sie wohl endgültig als eine revolutionäre Rote aus.
    „Leider nein“, hörte sich Bronstein zu seiner eigenen Überraschung sagen. Es war wohl dem Genius Loci geschuldet, dass er sich zu einer solchen Formulierung hatte hinreißen lassen. Im Polizeipräsidium wäre er für diese Aussage glatt degradiert worden, wenn man ihn nicht überhaupt spornstreichs aus der Exekutive entfernt hätte.
    „Schade.“ Das war von Jelka gekommen. „Du hast direkt a bissl eine Ähnlichkeit mit ihm. Der Bart, der stechende Blick.“
    „Sie kennen ihn, Fräu …, Sie kennen ihn?“
    „Sag einfach Jelka zu mir. Weil Genossin zu sagen, das wirst dich eh nicht trauen. Und ja, ich kenne ihn. Wir haben da in Wien zusammen an der Prawda gearbeitet. Und bis vor kurzem war ich noch bei ihm in der Ukraine.“
    „Eine Frau im Kriegsgebiet?“ Bronstein war ehrlich überrascht.
    „Unsere Jelka ist eine Berufsrevolutionärin“, lachte Kisch, „sie ist aber auch eine fundierte Theoretikerin. Sie kann dir genau erklären, warum es zum Krieg gekommen ist und wer an ihm die Schuld trägt.“
    „Das weiß ich auch“, entgegnete Bronstein, „der Krieg ist ausgebrochen, damit an irgendeinem Flüsschen des Balkan, dessen Name kein Kulturmensch auszusprechen vermag, der Wille des Zaren herrsche.“ Bronstein wartete einen Augenblick, genoss die entsetzten Blicke der anderen, dann grinste er. „Das hat euer Genosse Austerlitz gesagt. Im August vierzehn. Ich weiß es noch ganz genau.“
    „Der Austerlitz, der opportunistische Bernsteinianer, is ned unser Genosse.“ Jelka war, sehr zu Bronsteins Missfallen, wieder zum Knurren zurückgekehrt. Dabei hatte sie eine so anheimelnde Stimme, wenn sie sich nur Mühe gab. Jetzt freilich gab sie sich keine. „Na, Herr Oberg’scheit, warum ist er wirklich ausgebrochen, der Krieg?“ Jelka präsentierte sich angriffslustig und zwang Bronstein damit automatisch in die Defensive.
    „Ich weiß auch nicht so recht“, begann er unsicher, „das
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