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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition)
Autoren: Lily Brett
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für die Treffen auf und nahm sich vor, sie Richtlinien zu nennen. Ruths Regeln waren einfach. Wenn jemand sprach, sollten die anderen den Mund halten. Bemerkungen sollten sich an alle richten, nicht an die Sitznachbarin oder an ein Splittergrüppchen. Ruth hielt es für wichtig, daß alle hörten, was jede zu sagen hatte. Und daß jede Versammlung von jemandem geleitet wurde. Beschränkung der Redezeit nicht zu vergessen. So wäre gewährleistet, daß die redefreudigeren Mitglieder nicht die ganze Versammlung für sich beanspruchten und daß jede die Möglichkeit hatte, das Wort zu ergreifen. Sie stellte sich vor, daß man jede Versammlung mit einem dreiminütigen Statement jedes Mitglieds über die vorausgegangene Versammlung beginnen könnte. »Bin ich zu diktatorisch?« schrieb sie auf ihr BlattPapier. Sie hatte sich vorgenommen, Sonia diese Frage nicht zu stellen.
    »Wie kommst du ohne Garth zurecht?« fragte Sonia.
    »Ich glaube, ganz gut«, sagte Ruth.
    »Er hat dich erst vor einer Woche verlassen«, sagte Sonia.
    »Er hat mich nicht verlassen. Er ist nicht da«, sagte Ruth. »Verlassen klingt wie verlassen.«
    »Er hat dich verlassen«, sagte Sonia lauter als nötig. »Er ist außer Landes.«
    Garth war in der Woche zuvor nach Australien geflogen. Garth war Maler. Er hatte Ausstellungen in Amerika, Australien, England, Deutschland, Österreich, in der Schweiz, in Frankreich, Mexiko, China und Indien. Er war mit einem großen Auftrag für ein Weingut in der Nähe von Melbourne beschäftigt. Drei Wandgemälde und ein komplizierter Fußboden. Das Fußbodenmuster basierte auf einem Gemälde von Garth und bestand aus dünnen Holzscheiben eines hundertundzehn Jahre alten Eukalyptusbaums, versetzt mit kleinen Flußkieseln und in Zement gegossen.
    Garth malte jeden Tag. Sieben Tage in der Woche. Er malte tagsüber und arbeitete oft nachts in seinem Atelier. Das Wichtigste in Garths Leben, dachte Ruth, waren seine Bilder und sie. Alles andere mußte sich das teilen, was übrigblieb.
    Von sich selbst konnte sie das nicht behaupten. Sie liebte Wörter. Sie liebte es, Sätze zu bilden. Wenn sie schrieb, war sie glücklicher als bei jeder anderen Tätigkeit, mochte das Thema noch so zäh sein. Trotzdem hatte sie sehr viel Freiraum für Zweifel, Sorgen, Ängste und für ihre drei Kinder. Sie war eine überängstliche Mutter gewesen. Immer wieder erklärte sie ihrem Sohn, daß er als Kleinkind besser weniger von ihr bemuttert worden wäre. Er lachte darüber. Aber sie meinte es ernst. Niemand konnte eine Mutter brauchen, die sich ständig um einen kümmerte. Die einen betüttelte undnachfragte und diskutierte und zuhörte. Unaufhörlich. Und überflüssig.
    »Weißt du, was für ein Glück du mit ihm hast?« hatte eine Frau nach der anderen über Garth zu Ruth gesagt. »Weißt du eigentlich, was für ein Glück du hast?« hatte erst kürzlich auf einer Cocktailparty eine Frau dauernd wiederholt. Die Wiederholung hatte Ruth den Eindruck vermittelt, sie wäre sichtlich und unheilbar krank. Als ob sie nichts als eine Last wäre, wenn nicht gar ein offenkundiger Fall für die Fürsorge. Soweit sie wußte, hatte noch nie jemand zu Garth gesagt, was für ein Glück er mit ihr hatte. Sicherlich war sie der Ansicht, daß es ein Glück für sie war, Garth zu haben. Er war sehr klug und sehr nett. Und sehr lustig. Vielleicht hatte sie Glück, überhaupt jemanden zu haben. Als Teenager hatte sie im Leben nicht damit gerechnet. Es war komisch, daß solche Empfindungen einen nie verließen. Daß der dicke Teenager nie verschwand. Garth sagte oft zu ihr, welches Glück es für ihn war, sie zu haben. Sie war ihm immer dankbar, daß er so dachte.
    Garth würde vermutlich ein halbes Jahr lang fort sein. Die längste Zeit, die sie je in ihren fünfundzwanzig Jahren Zusammenlebens getrennt waren. Normalerweise nahm er ihr die Ängste. Er betrachtete die meisten Möglichkeiten und Ereignisse als verheißungsvoll. Er war zwar erst seit einer Woche fort, aber Ruth war es wie eine sehr lange Woche erschienen. Am Telefon konnte sie nicht richtig mit ihm sprechen. Garth war kein guter Telefonierer. Er mochte das Telefon nicht. Im unmittelbaren Umgang war Garth gesprächig, wortgewandt, überschwenglich und liebevoll. Am Telefon verwandelte er sich in einen Buchhalter oder Versicherungsangestellten. Einen freundlichen Buchhalter oder Versicherungsangestellten. Er sprach mit jedermann im gleichen munteren, fröhlichen Ton. Ruth eingeschlossen. Garth
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