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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition)
Autoren: Lily Brett
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überfordert oder überfahren oder sicher oder überlegen. Man konnte einen anderen als äußerst praktischen Ersatz für Eigenliebe lieben.
    Man konnte einen anderen als Ersatz für so vieles lieben. Gutes wie Schlechtes. Woher wollten die Leute wissen, warum sie die liebten, die sie liebten? Ruth hatte ihr halbes Erwachsenenleben auf der Analytikercouch verbracht und ein halbes Vermögen ausgegeben, um ihr Leben zu meistern. Und sie kam jetzt besser damit zurecht. Völlige Klarheit hatte sie nicht. Man sollte meinen, daß man für so viel Geld völlige Klarheit erwarten könnte. Sie wußte, daß ihr Herz noch immer einen Sprung tat, wenn sie abends nach Hause kam und Garth sah. Sie glaubte, daß das ein gutes Zeichen war. So gut wie Sex. Sie war immer der Ansicht gewesen, daß Sex vollkommen sein müsse. Vollkommen in seinen Abständen. Vollkommen in seiner Ausführung. Aber Vollkommenheit war ein so wenig greifbarer Zustand. So variabel. Wenn es ihn überhaupt gab, war er zweifellos von kurzer Dauer. Ruth hatte den Eindruck, daß es Zeiten gab, in denen Sex vollkommen erschien. Und das, dachte sie, war vermutlich oft genug der Fall.
    »Glaubst du wirklich, daß Männer vernünftig sind?« fragte Sonia.
    »Ja«, sagte Ruth. »Sehr vernünftig sogar. Männer wissen, daß es in ihrem eigenen Interesse ist, andere Männer zu unterstützen, auch wenn sie diese anderen Männer zufällig zutiefst verabscheuen. Männer sind anderen Männern gegenüber keine Giftspritzen und kratzen ihnen nicht die Augen aus. Männer gehen mit sich selbst wesentlich würdevoller um.«
    Die Vorstellung von Männern, die mit sich selbst umgingen, würdevoll oder nicht, beschwor in Ruth das falsche Bild herauf. Sie versuchte es wegzublinzeln.
    »Frauen sind so aggressiv, so konkurrenzbewußt«, sagte Ruth. »Und Frauen sind glücklich, wenn andere Frauen unglücklich sind. Sie können es kaum abwarten, einen lautstark zu bemitleiden, wenn man unglücklich ist. Du suchst eine Freundin? Nimm zu, verlier deinen Job, bekomme Krebs – oder vielleicht lieber etwas weniger Schreckliches wie Gürtelrose oder Gesichtslähmung. Krebs kann für Freundinnen sehr belastend sein.
    Männer sind aufrichtiger in ihren Freundschaften. Sie legen nicht beleidigt den Hörer auf. Sie führen keine Kleinkriege oder sprechen monatelang nicht miteinander wegen irgendwelchen Unsinns. Männer weinen nicht wegen etwas, was ein anderer Mann gesagt hat. Oder hassen ihn jahrelang dafür.«
    »Ich sage es nicht gern«, sagte Sonia, »aber ich fürchte, du hast recht.«
    »Ich fürchte es auch«, sagte Ruth. »Männer sind so clever. Der durchschnittliche schwer depressive, halbverblödete, fast hirntote Mann ist immer noch wesentlich cleverer als die meisten Frauen.«
    Sonia mußte lachen.
    »Ich habe mir überlegt, eine Frauengruppe zu gründen«, sagte Ruth. »Eine kleine Gruppe von cleveren Frauen, die sich füreinander interessieren und gemeinsam mehr bewirken. Für sich selbst. Und für andere Frauen.«
    »Du überlegst dir, eine Frauengruppe zu gründen?« sagte Sonia. »An welche Frauen hast du gedacht?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Ruth. »Was meinst du?«
    Ein bißchen hatte Ruth ihre Idee selbst überrascht. Und nicht weniger überrascht war sie von der Heftigkeit ihrer Hoffnungen und der Dringlichkeit ihres Anliegens. Sie hattezwar noch keine Frauen angesprochen, das erste Treffen jedoch bereits sorgfältig geplant. Und hatte beschlossen, daß es in ihrem Loft stattfinden sollte.
    Sie hatte sogar den Ablauf skizziert. Zuerst sollte jede Frau sich kurz vorstellen, höchstens fünf Minuten lang. Ruth hoffte, daß alle so intim und ehrlich wie möglich von ihrem Leben erzählen würden. Daß sie mehr erzählen würden, als sie bei einer Cocktail- oder Dinnerparty erzählen konnten oder wollten. Gut wäre es auch, wenn die Frauen sagen würden, warum sie sich der Gruppe angeschlossen hatten. Nach der Vorstellung wäre vielleicht eine Runde von Fragen und Antworten angebracht, die erlaubte, auf das Gesagte einzugehen. Ruth wollte vorschlagen, daß die Gruppe eine Liste von Themen zusammentrug, die bei künftigen Treffen erörtert werden sollten. Zwei Themen pro Abend waren denkbar. Und eine Stunde pro Thema.
    Und sie hatte sich den Vorschlag notiert, daß die Gruppe vielleicht eine halbe Stunde monatlich für Mitglieder reservieren sollte, die gezielte Hilfe benötigten. Hilfe in Form von Kontakten, von Rat. Hilfe wobei auch immer. Sie schrieb eine Reihe von Regeln
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