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Chronos

Titel: Chronos
Autoren: Robert Charles Wilson
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grundlegende Frage war, konnte man sich hier auch heimisch fühlen?
    Nein. Noch nicht, zumindest.
    Aber das könnte sich ändern.
    Wollte er, dass er sich hier heimisch fühlte?
    Aber das war eine Frage, die er nicht zu seiner Zufriedenheit beantworten konnte. Vielleicht wollte er weniger ein Haus als eher eine Höhle, einen warmen, trockenen Ort, wo er seine Wunden pflegen konnte, bis sie geheilt waren – oder wenigstens bis der Schmerz erträglich geworden war.
    Aber das Haus war ausgesprochen interessant.
    Er strich mit der Hand über eine glatte Wand im Kellergeschoss und erschrak, als er ... ja, was fühlte er eigentlich?
    Das Summen irgendwelcher Maschinen, übertragen durch Gipsplatten und Zement – das sofort abbrach?
    Ein feines elektrisches Kribbeln?
    Oder überhaupt nichts.
    »Alles dicht und stabil gebaut.«
    Das war Archer, der von draußen hereinkam.
    »Ich glaube, Sie haben hier ein Schnäppchen gefunden, Tom. Wir können gleich in mein Büro fahren, wenn Sie sich über ein Angebot unterhalten wollen.«
    »Zum Teufel, warum eigentlich nicht«, sagte Tom Winter.
    Die kleine Stadt Belltower erstreckte sich über die gesamte geschwungene Küstenlinie einer malerischen, nebligen pazifischen Bucht an der nordwestlichen Küste der Vereinigten Staaten.
    Die Hauptwirtschaftszweige waren Fisch und Holz. Eine riesige Papierfabrik war während des Wirtschaftsbooms der Fünfzigerjahre am südlichen Ende der Stadt erbaut worden, und an feuchten Tagen, wenn der Wind über die Küste wehte, erstickte die Stadt schier in dem schwefeligen, bitteren Gestank der Fabrik. Heute hatte der Wind in Richtung Ozean geblasen, und die Luft war rein. Kurz vor Sonnenuntergang, als Tom Winter in sein Zimmer im Seascape Motel zurückkehrte, wanderten die Wolkenberge weiter, und die Sonne beschien die schönsten Punkte auf den Bergen, in der Stadt und in der Bucht.
    Er aß im High Tide Diningroom zu Abend und gab der Serviererin ein viel zu großzügiges Trinkgeld, weil ihm ihr Lächeln echt und aufrichtig vorkam. Er kaufte eine Ausgabe der Newsweek im Andenkenladen und suchte sein Zimmer im zweiten Stock auf, als die Dunkelheit hereinbrach.
    Fast unglaublich, dachte er, dass er wieder in diese Stadt zurückgekehrt war. Von hier wegzugehen, das war nach Toms Empfinden ein Akt der Zerstörung gewesen. Er war mit dem Bus nach Seattle im Norden gefahren und hatte so getan, als sei alles hinter ihm von der Landkarte radiert worden. Seltsam, die Stadt immer noch hier vorzufinden, die Läden geöffnet, die Boote lagen noch immer im Yachthafen vor Anker.
    Das Einzige, was beschädigt wurde, ist mein Leben.
    Aber das war Selbstmitleid, und er schalt sich deswegen. Das absolute Laster der Einsamkeit. Ähnlich wie Masturbation war es eine Parodie von etwas, das am besten im Einklang mit anderen Personen praktiziert wurde.
    Er war sich auch bewusst, mit welchem Schmerz er sich noch auseinanderzusetzen hatte ... aber nicht hier in diesem Zimmer mit den hässlichen Hafengemälden an den Wänden, den Hotelpostkarten in der Kommode, auf deren Platte helle Ringe von den Generationen kündeten, die ihre Cola-Flaschen aus dem Automaten dort abgestellt hatten, wo sie in der trockenen Hitze beschlugen und das Kondenswasser sich auf dem Holzfurnier sammelte. Hier wäre es einfach zu viel auf einmal.
    Er tappte über den Teppichboden des Korridors, holte eine Flasche Coca-Cola, damit auch er seinen hellen Ring auf der Möblierung hinterließ.
    Das Telefon summte, als er zurückkam. Er nahm den Hörer ab und öffnete mit der anderen Hand die Cola-Dose.
    »Tom«, meldete sich sein Bruder.
    »Tony. Hi, Tony.«
    »Bist du allein?«
    »Verdammt noch mal, nein«, antwortete Tom. »Die Party kommt gerade in Schwung. Hörst du es nicht?«
    »Sehr lustig. Trinkst du gerade?«
    »Limonade, Tony.«
    »Ich dachte mir, du solltest nicht allein dort herumsitzen. Ich finde, das ist eine schlechte Angewohnheit. Du solltest dich nicht wieder volllaufen lassen.«
    Volllaufen, dachte Tom amüsiert. Sein Bruder war ein unerschöpflicher Quell solcher altmodischer Ausdrücke. Es war Tony, der Brigitte Nielsen mal als »oberscharfe Torte« bezeichnet hatte. Barbara hatte die Bonmots ihres Bruders immer geliebt. Sie nannte es immer ihr »Besuchsyoga bei Tony« – sich zu unterhalten und stets eine Hand bereitzuhalten, um damit schnellstens ein Grinsen zu verbergen.
    »Wenn ich mich volllaufen lasse«, sagte Tom, »dann bist du der Erste, der informiert wird.«
    »Genau davor
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