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Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Titel: Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Raunen ging durch die Menge, als Livanos hineingriff. Die Truhe war randvoll gefüllt mit erlesenen Schmuckstücken, silbernen Kelchen, edelsteinbesetzten Schalen, Perlenketten und Goldmünzen. Ein unglaublicher Schatz.
    »Bitte sehen Sie die Reichtümer als Zeichen meiner Dankbarkeit. Jeder darf so viel nehmen, wie er tragen kann«, sagte Livanos zu den Matrosen. »Für Sie, sehr geehrter Herr von Humboldt, habe ich etwas anderes vorgesehen.« Er nahm eine kleine hölzerne Schatulle und überreichte sie dem Forscher. »Fassen Sie ihn niemals mit bloßen Fingern an. Verwenden Sie ihn mit Bedacht und vergessen Sie niemals, wozu er fähig ist.«
    Humboldts Hände zitterten, als er den Deckel öffnete. Für einen kurzen Moment vergaß Oskar zu atmen.
    Im Innern der Schatulle, gebettet auf grünem Samt und eingefasst in eine Hülle aus Glas, lag ein Stück des wundersamen Kristalls von Atlantis. Ein feines Summen ging von ihm aus, während er im Schein der Nachmittagssonne schimmerte und funkelte.
    »Das kann ich nicht annehmen«, sagte der Forscher. »Es ist viel zu wertvoll.«
    »Es gibt niemanden auf der Welt, dem ich diesen Splitter lieber überlassen würde«, sagte Livanos. »Bitte behalten Sie ihn. Ich bin sicher, er wird Ihnen eines Tages noch gute Dienste leisten.«
    Ehe Humboldt ihm widersprechen konnte, rollte der Erfinder ein Stück zurück und hob die Hand. »Die Stunde des Abschieds ist gekommen. Haben Sie eine gute Heimreise und nehmen Sie meine Segenswünsche mit. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder. Bis dahin: Leben Sie wohl.« Er wendete und fuhr mit seinem Rollstuhl auf eine Rampe, die von der Kraaken zum Strand herübergelegt worden war. Rimbault und Océanne begleiteten ihn. Oskar sah zu, wie die drei an Bord gingen und die Gangway eingezogen wurde. Dann hoben sie alle zum Abschied noch einmal ihre Hand und verschwanden im Innern des mächtigen Schiffes. Die Kraaken setzte ein Stück zurück, dann verschwand sie rauschend und blubbernd in der Tiefe.

 
64
     
     
    Berlin, 11. August 1893 …
     
    Der Regen hatte aufgehört. Sonnenlicht drang durch das satte Grün der Bäume und ließ die Straßen silbrig glänzen. Die Luft roch frisch und sauber und war erfüllt von Vogelgezwitscher. Mit klappernden Hufen fuhr die Kutsche die Luisenstraße entlang und bog dann auf den Prachtboulevard Unter den Linden ein. Humboldt hatte seine Nase in die aktuelle Ausgabe der Morgenpost vertieft. Oskar, der neben ihm saß, konnte sehen, dass er einen Artikel las, in dem es um die Verhaftung und Anklage dreier einflussreicher Reeder ging, die sich der Sabotage und des Mordes schuldig gemacht hatten. Die Unterlagen, die Humboldt der griechischen Staatsanwaltschaft übergeben hatte, waren wie eine Bombe eingeschlagen und hatten zu einem der größten Skandale in der Geschichte des Landes geführt. Der Forscher wirkte sehr zufrieden. Der erste Auftrag war erfolgreich verlaufen. Von nun an würden ihnen Großkunden aus aller Welt die Tür einrennen.
    Oskar richtete seinen Blick wieder auf die Straße. Für einen Mittwochmorgen war es verhältnismäßig ruhig. Ein paar Pferdefuhrwerke und eine Straßenbahn, dazwischen ein paar flanierende Fußgänger, das war alles. Richtig belebt wurde es hier erst gegen Abend, wenn die Theater und Restaurants ihre Pforten öffneten. Dann drängten die Menschen auf die Straßen, auf der Suche nach kulinarischen Genüssen, den neuesten Lustbarkeiten oder einfach nur, um gesehen zu werden. Berlin begann sich langsam zu dem zu entwickeln, was Paris und London schon lange waren: eine Weltmetropole. Und Unter den Linden war ihr Zentrum.
    »Sie haben mir immer noch nicht verraten, wo wir eigentlich hinfahren«, sagte Oskar, der nervös mit seinen Fingern auf den Oberschenkeln trommelte. »Sie wissen genau, wie sehr ich Geheimniskrämerei hasse.«
    Der Forscher ließ die Zeitung sinken.
    »Nur die Ruhe, mein Junge, nur die Ruhe. Wir sind ja bald da. Unser Ziel ist nicht mehr weit. In ein paar Minuten werden alle deine Fragen beantwortet. Und du hast doch eine Menge Fragen, habe ich recht?«
    Oskar schwieg. Klar hatte er viele Fragen. Unmengen von Fragen. Angefangen damit, ob ihre Begegnung damals in der Krausnickstraße tatsächlich nur ein Zufall gewesen war, über den hartnäckigen Verdacht, dass Humboldt viel mehr wusste, als er zugab, bis hin zu der geheimnisvollen Truhe oben auf dem Dachboden. Ihm wurde ganz mulmig bei dem Gedanken, was ihn am Ende dieser Fahrt erwarten mochte.
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