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Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Titel: Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
Autoren: Thomas Thiemeyer
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schaute er wehmütig hinter ihnen her. Dann hob er die Hand. Oskar konnte sehen, dass er einen Handschuh trug. Einen schwarzen Lederhandschuh.

 
63
     
     
    Die Bucht lag eingefasst wie ein blauer Edelstein inmitten eines weitläufigen Sandstrands. Grüne Feigenbäume und Kiefern säumten den Rand und spendeten wohltuenden Schatten. Zikaden erfüllten die Luft mit sirrenden Lauten, während die Wellen leise säuselnd gegen die Felsen schlugen.
    Oskar war einem schmalen Pfad in den hinteren Teil des Tals gefolgt. Nach all den Tagen, in denen er und die anderen eingepfercht wie Hühner in einem zu engen Stall verbracht hatten, musste er ein bisschen allein sein. Während die anderen am Strand saßen und auf das Eintreffen des Fischerbootes warteten, erkundete er die Insel.
    Der Duft von Rosmarin und Thymian lag in der Luft. Etwas weiter hinten im Tal stieß er auf ein Bächlein, das leise plätschernd aus den Hügeln kam. Das Wasser schmeckte wie Wein. Schildkröten und Ziegen stromerten durchs Unterholz, nahmen aber Reißaus, sobald sie ihn zu Gesicht bekamen.
    Oskar konnte sich nicht erinnern, jemals einen solch paradiesischen Ort gesehen zu haben. Nach all den Tagen bei elektrischem Licht und künstlicher Luft kam ihm die Bucht wie ein Garten Eden vor, wie ein Traum, so zart, dass er verschwinden würde, sobald man in die Hände klatschte.
    Also behielt er seine Hände lieber bei sich und pflückte stattdessen eine Feige. Außen zwar noch grün, war sie innen bereits süß und saftig. Nach einer ersten zaghaften Kostprobe pflückte er gleich noch eine und verspeiste sie in Windeseile. Die Früchte konnten einen regelrecht süchtig machen. Noch einmal streckte er die Hand aus, als er plötzlich hinter sich eine Stimme hörte.
    »Ich würde vorsichtig sein, wenn ich du wäre.«
    Oskar fuhr herum. Es war Océanne. Sie war ihm offenbar still und heimlich gefolgt und lehnte nun lächelnd am Stamm seines Baumes.
    »Von diesen Früchten«, sie deutete nach oben, »kann man gewisse Probleme bekommen, wenn man zu viel davon isst.«
    Er blickte auf die Feige. »Was denn für Probleme?«
    Sie kicherte. »Hast du noch nie zuvor Feigen gegessen? Sie haben eine äußerst abführende Wirkung, besonders wenn sie jung sind. In der Heimat meiner Mutter, Tunesien, werden sie bei Patienten angewendet, die unter Verstopfungen leiden.«
    Oskar warf einen Blick auf die Frucht. Machte sich da bereits ein leichtes Grummeln in seinen Gedärmen bemerkbar? Er warf die angebissene Frucht ins Gebüsch.
    Océanne kam auf ihn zu. »Wusstest du, dass man der Feige im alten Griechenland eine liebesfördernde Wirkung nachgesagt hat? Auch in der Bibel wird sie als paradiesischer Baum beschrieben. Adam und Eva haben mit ihren Blättern ihre Nacktheit verhüllt.«
    »Was willst du, Océanne?«
    »Ich? Och, nichts Besonderes. Ich wollte mich nur bei dir bedanken.« Sie trat auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Was du und Humboldt getan habt, war sehr mutig und sehr tapfer. Danke.«
    »Gern geschehen.« Überraschenderweise spürte er diesmal nicht den geringsten Anflug von Panik, wie sonst immer bei Océannes Annäherungsversuchen.
    Ein spitzbübisches Lächeln umspielte die Lippen des Mädchens. »Außerdem wollte ich dir sagen, dass du von nun an Ruhe vor mir hast. Ich werde dir nicht mehr nachstellen. Ich habe eingesehen, dass es keinen Zweck hat.«
    »Wie meinst du das?«
    »Weißt du das nicht? Dein Herz ist bereits vergeben. Kein Platz dort für die süße kleine Océanne.« Ihr Lächeln bekam etwas Wehmütiges.
    Oskar schüttelte den Kopf. Was sollte das bedeuten? Sein Herz vergeben, an wen denn? Er versuchte, etwas Schlaues zu sagen, aber ihm fiel einfach nichts ein. Schließlich murmelte er. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    Sie schüttelte tadelnd den Kopf. »Stell dich nicht so an. Ich rede natürlich von dir und Charlotte. Seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind, hast du nur Augen für sie. Immer diese versteckten Blicke und die trockenen Lippen. Die schweißnassen Hände, das Herzklopfen und der kurze Atem.«
    »Wie du das beschreibst, klingt es wie eine ernste Krankheit.«
    Sie lachte. »Sei unbesorgt. Nichts, was sich nicht kurieren ließe. Besonders, wenn man so ein Glück hat wie du.«
    »Glück?« Er verstand immer noch nicht, worauf diese Französin hinauswollte.
    Océanne stieß einen tiefen Seufzer aus. »Muss ich dir denn wirklich das ABC der Liebe erklären? Hattest du etwa noch nie eine Freundin? Du
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