Chronik eines angekuendigten Todes
Doch gegen Mittag entwichen sie aus ihrem Gefängnis, niemand wusste wie, und brachen wie toll ins Haus ein. Dieses eine Mal verlor Plácida Linero die Nerven.
»Diese Scheißköter!«, schrie sie. »Schlagt sie tot!«
Der Befehl wurde unverzüglich befolgt, und das Haus war wieder still. Bis dahin waren keine Befürchtungen über den Zustand des Leichnams laut geworden. Das Gesicht war unversehrt und zeigte den gleichen Ausdruck wie beim Singen, und Cristo Bedoya hatte die Eingeweide wieder an Ort und Stelle gelegt und den Leib mit einer Leinenbinde umwickelt. Nachmittags begann jedoch eine sirupfarbene Flüssigkeit aus den Wunden zu sickern undlockte die Fliegen an, während auf der Oberlippe ein maulbeerfarbener Fleck erschien, der langsam wie Wolkenschatten auf dem Wasser zum Haaransatz hinaufzog. Das stets milde Gesicht nahm nun einen feindseligen Ausdruck an, und die Mutter bedeckte es mit einem Taschentuch. Da begriff Oberst Aponte, dass man nicht länger warten konnte, und er wies Pater Amador an, die Autopsie vorzunehmen. »Schlimmer wäre es gewesen, die Leiche eine Woche später wieder auszugraben«, sagte er. Der Pfarrer hatte zwar in Salamanca Medizin und Chirurgie studiert, war aber ohne akademischen Grad ins Seminar eingetreten, und sogar der Bürgermeister wusste, dass diese Autopsie keine Gültigkeit vor dem Gesetz hatte. Trotzdem bestand er auf der ordnungsgemäßen Durchführung.
Es war ein Gemetzel, das im städtischen Schulhaus mit Hilfe des Apothekers, der Protokoll führte, und eines Medizinstudenten im ersten Jahr, der gerade seine Ferien hier verbrachte, vollzogen wurde. Sie verfügten nur über ein paar Instrumente der kleinen Chirurgie, alles Übrige war Handwerkszeug. Doch abgesehen von den am Körper verursachten Verheerungen schien Pater Amadors Bericht korrekt, und der Untersuchungsrichter fügte ihn als nützliche Unterlage seiner Beweisaufnahme bei.
Sieben der zahlreichen Verletzungen waren tödlich. Die Leber war von zwei tiefen Perforationen im linken Leberlappen fast durchtrennt worden. Der Magen hatte vier Inzisionen, eine von ihnen so tief, dass er durchstoßen und die Bauchspeicheldrüse beschädigt worden war. Es gab sechs weitere kleinerePerforationen im Dickdarm und mehrere Verletzungen des Dünndarms. Der einzige Stich im Rücken, auf Höhe des dritten Lendenwirbels, hatte die rechte Niere perforiert. Die Bauchhöhle war angefüllt mit großen Blutgerinnseln, und im Magenschlamm kam ein goldenes Medaillon der Heiligen Jungfrau vom Carmen zum Vorschein, das Santiago Nasar im Alter von vier Jahren verschluckt hatte. Die Brusthöhle wies zwei Perforationen auf: eine im zweiten rechten Interkostalraum, die bis in die Lunge hineinreichte, und eine weitere in unmittelbarer Nähe der linken Achselhöhle. Er hatte außerdem sechs kleinere Wunden an Armen und Händen und zwei horizontale Schnitte: einen im rechten Schenkel und den zweiten in der Bauchmuskulatur. Ein tiefer Stich war in der rechten Handfläche. Im Bericht hieß es: »Es sah aus wie ein Wundmal des Gekreuzigten.« Die Gehirnmasse wog sechzig Gramm mehr als die des Durchschnittsengländers, und Pater Amador legte in seinem Bericht nieder, dass Santiago Nasar eine ausgeprägte Intelligenz und eine glänzende Zukunft hatte. Jedoch wies er in seiner letzten Anmerkung auf eine Hypertrophie der Leber hin, die er auf eine nicht ausgeheilte Hepatitis zurückführte. »Das heißt«, sagte er zu mir, »er hatte auf jeden Fall nur noch wenige Jahre zu leben.« Doktor Dionisio Iguarán, der bei Santiago Nasar, als dieser zwölf Jahre alt war, in der Tat eine Hepatitis behandelt hatte, erinnerte sich empört an diese Autopsie. »So beschränkt kann nur ein Geistlicher sein«, sagte er zu mir. »Er wollte einfach nicht begreifen, dass wir Tropenmenschen eine größere Leber haben als die Spanier.« Der Bericht schloss, derTod sei nach einer massiven Blutung als Folge einer der sieben schweren Verletzungen eingetreten.
Uns wurde ein anderer Körper zurückgegeben. Die Hälfte der Hirnschale war durch die Trepanation zertrümmert, und das Antlitz des schönen Jünglings, das der Tod verschont hatte, verlor damit endgültig seine Identität. Zudem hatte der Pfarrer die zerstückelten Eingeweide mit Stumpf und Stiel herausgerissen, wusste jedoch am Ende nichts mit ihnen anzufangen, so dass er wütend einen Segen über sie sprach und sie in den Mülleimer warf. Den letzten zu den Fenstern der Schule geströmten Gaffern verging die
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