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Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
Autoren: H. P. Lovecraft
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gemeint hat, ist wohl eher fraglich.
    Eine auffällige intertextuelle Vernetzung liegt auch mit der Novelle ›The Whisperer in Darkness‹ vor, dessen Protagonist als der »so unheimlich gelehrte Volkskundler Wilmarth« zitiert wird (»that unpleasantly erudite folklorist« im Original). Die Krustazeen vom Yuggoth tauchen beiläufig in der Gesamtvision der Erdgeschichte auf, die sich vor dem Auge des Lesers aufrollt. Nur in einem einzigen Text hat Lovecraft noch weiter ausholend eine ganze Geschichte der Erde in Vergangenheit und Zukunft entfaltet (›The Shadow Out of Time‹).
    Wer ›At the Mountains of Madness‹ liest, wird kaum der Versuchung widerstehen können, die Lokalitäten auf einer Landkarte nachzuschlagen. Wichtiger ist eine gute Kenntnis der Erdgeschichte, wobei Lovecrafts Datierung der paläontologischen Epochen nicht ganz den heute üblichen entspricht (doch sind die Abweichungen für die Handlung unerheblich). Auffällig ist gerade hier Lovecrafts immenses Bemühen um absolute naturwissenschaftliche Präzision. Alfred Wegeners Kontinentalverschiebung spielt eine entscheidende Rolle, daneben auch die (damals) neuesten Ergebnisse der Paläozoologie, Paläobotanik und Ingenieurwissenschaft. Kaum je in der fantastischen Literatur (tatsächlich fällt mir kein wirklich vergleichbares Beispiel ein) sind die Monster einer Erzählung mit solchem anatomischem Detail, mit einer solchen Exaktheit des Seziertisches beschrieben worden. Diese Obsesssion sowohl in Sachen Präzision als auch in Sachen Suggestion ist ja schon bei früheren Erzählungen Lovecrafts zu beobachten, etwa in ›Pickman’s Model‹ (1926). Sie ist ein Grundkennzeichen der Lovecraftschen Ästhetik. Selbst Admiral Richard Byrds Entdeckung während der genannten Expedition 1928–1930, dass die Antarktis nicht aus drei, sondern nur aus einer einzigen Landmasse besteht, wird in die Handlung eingebaut. Byrd hatte am 29. November 1929 als erster Mensch den Südpol in einem Flugzeug überquert. Der McMurdo-Sound (wo die »Miskatonic Antarctic Expedition« ihren Landeplatz hat) befindet sich gegenüber der Ross’schen Eisbarriere, nicht weit entfernt von der Stelle, wo Byrd sein erstes Lager aufgeschlagen hatte.
    ›At the Mountains of Madness‹ ist die Vision der Geschichte einer ganzen Zivilisation, von ihren mythischen Wurzeln über die Zeit ihrer kulturellen Blüte, durch ihre Jahre (Jahrmillionen!) des Konflikts und der Kriege bis zu ihrem Verfall und ihrer schließlichen Vernichtung durch ihre eigenen leichtsinnig geschaffenen Sklaven, die amorphen Shoggothen. Aus einer Horrorgeschichte wird hier nicht nur Science Fiction, sondern vielmehr Kulturkritik, eine Spenglersche Schau auf das »Ganze« kultureller Entwicklung. Aus anfänglichem Abscheu vor den Alten Wesen wächst Sympathie und Identifikation; dies ist eine der wenigen Passagen, wo Lovecraft immens pathetisch wird (»Was immer sie waren … sie waren Menschen«). Man beachte auch das kleine, feine Detail, dass die Vorfahren der Menschen in unserem Roman von den Alten Wesen als Nahrungsergänzung und Spielzeug (eine Art äffische Unterhalter) geschaffen wurden: Auch hier hat sich eine Schöpfung der Alten Wesen verselbstständigt.
    Vieles wäre interpretationswürdig: Die Geschlechtslosigkeit der Alten Wesen (die sich pflanzlich vermehren) hält ihre Kultur von allen jenen Komplikationen frei, welche nach Lovecrafts Auffassung der menschlichen nur geschadet haben … In einer früheren Phase ihrer Geschichte (auf einem anderen Planeten) haben sie eine Phase technischer Zivilisation mit zahlreichen Maschinen durchlaufen, sich davon aber als einer ästhetisch unbefriedigenden Existenzweise wieder abgewandt: Die Alten Wesen sind hier ganz Träger von Lovecrafts eigenen kulturellen Idealen (wie das dann in ›The Shadow Out of Time‹ noch deutlicher wird). Lovecraft war tief davon überzeugt, dass Technik keine kulturelle Errungenschaft ist, sondern allenfalls das Leben bequemer macht. Wissenschaft und Kunst füllen das Leben der Alten Wesen in den Jahren der Blüte ihrer Zivilisation: Und das ist Lovecrafts eigenes Kulturideal.
    In der theosophischen Tradition (mit der sich Lovecraft in ›The Call of Cthulhu‹ intensiv auseinandergesetzt hatte) ist der Nordpol »heiliges Land«, auf dem einst die frühesten Bewohner unseres Planeten gelebt haben, der Südpol dagegen »böses« Territorium, Ort eines nie näher beschriebenen Schreckens (darauf kann hier nicht näher eingegangen
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