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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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und nutzte die Gelegenheit gleich, um sich unaufgefordert zu ihnen zu setzen – was ihm einen schrägen Blick von Andrej und ein genießerisches Schmatzen Abu Duns einbrachte. »Ich persönlich halte nichts von all dem Gerede von Krieg und Verteidigung und der schrecklichen Gefahr durch die Türken. Ich meine: Warum sollten sie uns angreifen?«
    »Venedig ist eine wohlhabende Stadt«, gab Andrej zu bedenken – wider besseres Wissen. Ihm war nicht nach einem Schwätzchen mit einem redseligen Schankwirt. Aber es war natürlich längst zu spät.
    »Die reichen Pfeffersäcke aus den besseren Vierteln vielleicht«, schnaubte der Wirt. »Aber selbst die stapeln ihr Geld nicht in Säcken auf dem Dachboden, sondern haben es auf Banken getragen oder in irgendwelchen Papieren angelegt.« Er sprach das Wort aus, als handle es sich um etwas Widernatürliches. »Es sind moderne Zeiten.«
    »Die Euch nicht gefallen?«
    »Was würde es schon ändern, ob sie mir gefallen oder nicht?«, antwortete der Wirt. »Wer sollte uns angreifen, und warum? Wir treiben seit vielen Jahren Handel mit den Muselmanen, und sie profitieren genauso davon wie wir. Warum also sollten sie uns angreifen oder gar Krieg gegen uns führen wollen? Es wäre doch kurzsichtig, das Huhn zu schlachten, das goldene Eier legt, oder? So dumm sind nicht einmal die Turbanträger!«
    »Ich glaube, es heißt die Gans, die goldene Eier legt«, sagte Abu Dun mit vollem Mund und rückte den gewaltigen Turban auf seinem Kopf zurecht.
    Der Wirt sah ihn erschrocken an und fuhr dann hastig fort: »Wenn ihr mich fragt, dann sind die einzigen Räuber, die unsere reichen Mitbürger zu fürchten haben, die Steuerschätzer und ihre Eintreiber, und die Festungsmauer, die die nicht überwinden können, ist noch nicht gebaut.«
    Andrej hütete sich, auch nur mit einem einzigen Wort darauf einzugehen; den Fehler hatte er nur ein einziges Mal, an ihrem ersten Abend hier, gemacht. Niemand mochte Steuereintreiber, und sich das eine oder andere Mal über sie zu echauffieren oder auch einen derben Scherz auf ihre Kosten zu machen, war etwas, das er nur zu gut verstand. Ihr schwatzhafter Wohltäter jedoch schien einen ganz besonderen Groll auf diesen besonderen Zweig der Obrigkeit zu hegen, entweder aus schlechter Erfahrung oder einfach aus Prinzip. Kam die Sprache jedenfalls auf dieses besondere Thema, dann kannte er kein Halten mehr und steigerte sich in seinem Lamentieren in schiere Raserei, die Stunden dauern konnte.
    »Du meinst also, wir sollten uns dem Heer anschließen?«, fragte Abu Dun schmatzend.
    »Gott bewahre!«, erwiderte der Gastwirt erschrocken. »Ich bin ein Mann des Friedens, kein Kriegstreiber! Aber wo ein Heer zusammengestellt und eine Flotte ausgerüstet wird, da fällt immer eine Menge zusätzliche Arbeit an. Es wird bestimmt noch Monate dauern, bis alle Vorbereitungen abgeschlossen sind, und sie werden eine Menge weiterer Arbeiter brauchen, die schließlich irgendwo unterkommen müssen.« Er feixte breit. »Und wie es der Zufall will, habe ich ein Gasthaus.«
    Andrej nickte, sah auf seinen Teller hinab und fragte sich, wie viele seiner zukünftigen Gäste er wohl vergiften würde, bevor man ihn hinrichtete oder als Ruderer auf einer der zahlreichen Galeonen zwangsverpflichtete, die gerade draußen im Golf darauf warteten, sich zu einer Flotte zu vereinen und in den Krieg zu ziehen. Der Gastwirt fuhr fort: »Aber das alles erzähle ich euch nicht umsonst. Mein Schwager – der ansonsten ein rechter Stinkstiefel ist, aber wer kann sich seine Verwandten schon aussuchen? – arbeitet am Hafen, und erst gestern hat er mir erzählt, dass sie noch nach Leuten suchen. Es ist schwere Arbeit, aber sie wird gut bezahlt, und ihr seht mir nicht aus wie Männer, die Angst davor haben, kräftig zuzupacken.«
    Abu Dun grunzte zustimmend, schaufelte sich eine weitere Portion des unappetitlichen Breis in den Mund und rückte mit der anderen Hand erneut seinen Turban zurecht. »Wir sind nicht auf der Suche nach Arbeit«, sagte er mit vollem Mund und einem gierigen Blick auf den Teller, den Andrej bisher kaum angerührt hatte. Wortlos schob Andrej ihn ihm zu.
    »Ich sage das auch nur, weil ich nicht umhingekommen bin, eure … nun, sagen wir: angespannte pekuniäre Situation … zu bemerken.«
    »Angespannte pekuniäre Situation«, wiederholte Abu Dun.
    »Er meint, wir sind bankrott«, übersetzte Andrej.
    »Nicht dass es mich etwas anginge«, sagte der Wirt hastig.
    »Wie wahr«,
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