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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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noch ein Kind. Ich habe ihn kaum gekannt, auch vorher nicht, und dann ist er in meinen Armen gestorben.« Er schwieg einen kurzen, aber schmerzvollen Augenblick, der sich wie ein glühender Dolch in sein Herz senkte, und als er weitersprach, klang seine Stimme selbst in seinen eigenen Ohren wie die eines Fremden. »Jedenfalls dachte ich das. Ich habe ihn für tot gehalten, verstehst du?«
    Er hatte viel mehr getan. Er hatte ihn mit seinen eigenen Händen begraben. Aber wie hätte er es denn wissen sollen?
    »Aber er war es nicht.«
    Andrej schüttelte den Kopf. »Vor einem Jahr habe ich es erfahren«, sagte er. Die Worte taten weh, unsagbar weh. Aber zugleich tat es auch auf sonderbare Weise gut, sie auszusprechen, so wie der Schnitt, mit dem man eine eiternde Wunde öffnet, schmerzt und zugleich große Erleichterung bringt. »Es war in London, am Tag des großen Brandes. Hast du davon gehört?«
    »Nein. Vielleicht doch. Ich weiß es nicht. Solche Dinge interessieren mich nicht. Ihr habt Euren Sohn dort wiedergefunden, nachdem Ihr viele Jahre lang gedacht habt, er wäre nicht mehr am Leben? Das muss schrecklich gewesen sein.«
    »Er war sehr krank«, sagte Andrej. »Eine … ganz besondere Art von Krankheit. Eine Freundin wusste einen guten Arzt für dieses Leiden in Konstantinopel. Ich konnte noch nicht fort, also hat sie sich angeboten, zusammen mit Markts vorauszugehen. Wir wollten uns hier wieder mit ihr treffen.«
    »Aber das habt Ihr nicht?« Corinna beantwortete ihre eigene Frage mit einem Kopfschütteln und trank den letzten Schluck Wein. »Das muss nichts bedeuten. Venedig ist eine große Stadt. Eine wirklich sehr große Stadt – natürlich nicht so groß wie London, aber dennoch groß. Hier könnt Ihr einen Monat nach jemandem suchen, ohne ihn zu finden. Und es ist ein weiter Weg von London hierher. Vielleicht wurde sie aufgehalten.«
    Ja, vielleicht. Aber warum schickte Marius ihm dann diese Träume?
    »Entschuldigt«, sagte Corinna, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. »Es tut mir leid. Ich habe kein Recht, solche Fragen zu stellen. Ich wollte Euch nicht noch mehr wehtun.«
    »Das hast du auch nicht«, antwortete Andrej. »Im Gegenteil. Es hilft, darüber zu reden. Und es ist wirklich eine große Stadt.«
    »Wenn auch nicht annähernd so groß wie London«, sagte Corinna noch einmal. »Erzählt Ihr mir davon? Es gab ein Feuer, sagt Ihr? Das klingt nach einer aufregenden Geschichte. Ich mag aufregende Geschichten … erzählt Ihr sie mir?«
    Andrej wollte ganz automatisch nicken, aber dann sah er sie nur nachdenklich an und fragte: »Das kommt ganz darauf an. Was bekomme ich denn dafür?«
    Corinna seufzte. Übertrieben. Dann begann sie, ihr Kleid abzustreifen.
     
    »Sie suchen noch Männer für den Hafen«, sagte der Wirt am nächsten Morgen, während Abu Dun und er in seiner schäbigen Gaststube saßen und ein verspätetes Frühstück einnahmen. Abu Dun grunzte nur zur Antwort und schaufelte eine weitere Portion irgendeiner lokalen Spezialität in sich hinein, von der Andrej gar nicht wissen wollte, woraus sie bestand. Zu einem der unbestreitbaren Vorteile dessen, was sie waren, gehörte es, dass sie nicht vergiftet werden konnten. Immerhin war ihnen bisher noch kein Gift begegnet, das ihnen wirklich ernsthaft zu schaden vermochte.
    Dennoch maß er den zerschrammten Holzteller mit einem unverhohlen misstrauischen Blick. Denn bis er an diesem Morgen die Augen aufgeschlagen und als Erstes in Abu Duns missmutiges Gesicht geblickt hatte, war er fest davon überzeugt gewesen, vor den unangenehmen Nachwirkungen des Alkohols gefeit zu sein … und doch hatte er heute einen gewaltigen Brummschädel und einen Geschmack auf der Zunge, der noch übler war als der Anblick dessen, was auf Abu Duns Teller lag.
    Fragend sah er den Wirt an. Er wusste recht gut, wovon er sprach, zumal sie diese Unterhaltung nicht zum ersten Mal führten. Aber der Mann (Andrej musste sich zu seiner Schande eingestehen, dass er nicht einmal seinen Namen kannte) war nicht nur schwatzhaft und neugierig, sondern auch überaus freundlich. Immerhin war dies das einzige Gasthaus in der nicht gerade kleinen Stadt, in dem sie überhaupt ein Zimmer bekommen hatten, das sie bezahlen konnten.
    »Aha«, sagte er schließlich aus reiner Höflichkeit und weil er nicht weiteressen musste, wenn er sich unterhielt.
    »Ich weiß, dass es mich nichts angeht«, fuhr der Wirt fort, wischte sich die fettigen Hände an seiner ebenso fettigen Schürze ab
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