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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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Blattskelett in seinen Händen.
    »Um den Pakt zu besiegeln, brach der Weltgeist eine Zacke aus seinem Geweih und gab sie ihr. Sie fertigte daraus ein Medizinhorn. An dem Tag, an dem sie damit fertig war, starb sie.«
    Ein Rotschwänzchen ließ sich auf einer Erle nieder, rieb den Schnabel an dem Zweig und flog wieder davon.
    »Dein Vater«, sagte Durrain, »hat dich in der Wolfshöhle zurückgelassen und ist losgezogen, um ihr Totengerüst zu bauen. Drei Monate später brachte er ihre Knochen in den Heiligen Hain und bettete sie in der Großen Eibe zur Ruhe.«
    Torak warf das Blattskelett ins Wasser und sah zu, wie es davongetragen wurde. Die Große Eibe. Sein Geburtsbaum. Der Totenbaum seiner Mutter.
    Er dachte an seinen Vater, der Pflöcke in die alte ausgehöhlte Borke geschlagen hatte, um seiner Gefährtin den Einstieg zu erleichtern, wenn sie so weit war, ihr Kind zur Welt zu bringen; und wie er dann ihre Knochen an diesen Ort gebracht und dort bestattet hatte, zusammen mit ihrem Messer: dem Messer, das viele Sommer später einmal Renn das Leben retten würde.
    Auf der anderen Seite des Flusses watschelte eine Gruppe Entenküken hinter ihrer Mutter zum Ufer. Torak sah sie, ohne sie wahrzunehmen. Er war clanlos, weil er ein Seelenwanderer war. Seine Mutter hatte sich dafür entschieden und sie hatte ihr Leben dafür gegeben.
    Eine qualvolle Wut flammte in ihm auf. Sie hätte weiterleben können, hatte aber den Tod gewählt. Sie hatte es für ihn getan, aber sie hatte ihn im Stich gelassen.
    Er erhob sich unsicher. »Das habe ich nie gewollt.«
    Durrain wollte etwas erwidern, aber er brachte sie mit einer Geste zum Verstummen. »Das habe ich nie gewollt! «
    Blindlings rannte er durch den Wald. Er rannte immer weiter, bis ihm das Bein so wehtat, dass er anhalten musste.
    Er fand sich in einer grünen, von Sonnenlicht gesprenkelten Lichtung wieder, in der Schwalben kreuz und quer sausten und Schmetterlinge über Anemonen dahinflatterten. Wie schön, dachte er.
    Und seine Toten konnten das alles nicht mehr sehen.
    Als er im Gras auf die Knie sank, dachte er an seine Mutter und seinen Vater und an Bale. Der Schmerz in seiner Brust wurde so schneidend wie ein Feuerstein. So lange hatte er sich an seinen Wunsch nach Rache geklammert. Jetzt war er verschwunden und hatte nichts als einen großen Kummer hinterlassen. Ein dicker Kloß schien sich unter seinem Brustbein lösen zu wollen und er stieß einen lauten Schrei aus. Dann fing er an zu weinen, mit lauten, abgehackten, stöhnenden Schluchzern. Er weinte um seine Toten, die ihn hier allein zurückgelassen hatten.

    Renn lag in ihrem Schlafsack und starrte in die Dunkelheit. Ihre Gedanken drehten sich immer wieder im Kreis. Fin-Kedinn hatte ihren Bogen gebaut. Thiazzi hatte ihn zerbrochen. Fin-Kedinn war krank. Der Bogen war ein Omen. Fin-Kedinn war tot.
    Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie schnappte sich ihre Krücken und humpelte aus der Hütte hinaus.
    Es war mitten in der Nacht, alles im Lager war still. Sie ging zu einem der Feuer, ließ sich dort auf einem Baumstamm nieder und sah zu, wie die Funken in den Nachthimmel flogen und vergingen.
    Wo war Torak? Wie konnte er so etwas tun? Einfach wegzulaufen, ohne ihr etwas davon zu sagen, obwohl sie nichts sehnlicher wünschte, als in den Weiten Wald zurückzugehen.
    Kurz darauf kam er ins Lager gehumpelt und setzte sich neben sie ans Feuer. Er sah erschöpft aus, seine Wimpern waren verklebt, als hätte er geweint. Renn riss sich zusammen und erwartete das Schlimmste. »Wo bist du gewesen?«, fragte sie vorwurfsvoll.
    Er blickte finster ins Feuer. »Ich will weg von hier. Zurück in den Weiten Wald.«
    »Ich doch auch! Wenn du nicht einfach so davongerannt wärst, könnten wir längst unterwegs sein.«
    Er stocherte mit einem Stock in der Glut herum. »Ich will kein Seelenwanderer mehr sein. Es kommt mir wie ein Fluch vor.«
    »Du bist das, was du bist«, sagte sie ohne viel Mitgefühl. »Außerdem hat es auch sein Gutes.«
    »Was denn für Gutes? Sag mir, was es jemals an Gutem gebracht hat?«
    »Als du ein Neugeborenes warst, in der Wolfshöhle. Nur als Seelenwanderer konntest du die Wolfssprache erlernen. Die wiederum hat dir Wolf zum Freund gemacht. Also! Das ist doch gut, oder etwa nicht?«
    Er stierte unverwandt in die Glut. »Aber es ist nicht nur die Wolfssprache, schön wär’s. Wenn die Seele auf Wanderschaft geht… ich glaube, es hinterlässt Spuren in meinen Seelen.«
    Renn erschauerte. Sie
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