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Chimären

Chimären

Titel: Chimären
Autoren: Alexander Kröger
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Lindsey! Sie wäre ehrgeizig und skrupellos genug, mit mir…’ Seine aufwallende Erregung verhinderte, dass er zu Ende dachte. „Einen Korn“, rief er zum Wirt gewandt. „Einen doppelten!“

    „ K ollegin Lindsey, einen Augenblick!“
      Die Dienstbesprechung war zu Ende. Lehmanns engste Mitarbeiter rafften ihre Unterlagen und verließen den Raum.

    Master Shirley Lindsey, ebenfalls im Begriff zu gehen, blickte wenig überrascht auf, nickte und nahm eine abwartende Haltung ein.

    Die junge Frau, eine von der Natur begnadete Person. Ihr Äußeres bediente nicht das Klischee einer ehrgeizigen, weltfremden, verknöcherten Wissenschaftlerin. Sie erinnerte eher – hochgewachsen, schlank und flachbusig – an eine Barbiepuppe mit dem hübschen Allerweltsgesicht und dem blonden, langen Haar. Sie trug es vorwiegend offen. Selbst ihr mitunter etwas einfältig wirkendes Gesicht und der manchmal träumerische Blick konnten den Eindruck vertiefen, dass sie eine jener oberflächlichen personifizierten Modeerscheinungen aus der Jungmädchenstube sei.
      Vom spießigen, konservativen, familiären Milieu einer Vorstadtkneipe Oxfords beizeiten frei gemacht, faszinierte sie das Flair des universitären Gehabes, das die Stadt und die Klientel der elterlichen Gaststätte prägte, – ihr Traum, zum Stand solcher Akademischen zu gehören.
      Obwohl sie nach dem Wunsch ihrer Erzeuger als einzige Erbin das gutgehende Haus einmal übernehmen sollte, finanzierten sie halbherzig das Studium der Tochter.
      Sie erreichte nach sehr guten Examina eine Anstellung im Biotechunternehmen THERAPEUTIC im US-Staat Virginia und konnte dort die Erkenntnisse in der Xenotransplantation bemerkenswert bereichern – der Grund für Uwe Lehmann, sich für Shirley Lindsey zu interessieren. Nachdem ihr weitgehende Selbstständigkeit in ihrer Arbeit und ein Gehalt zugesagt worden waren, das sogar das der Amerikaner beachtlich übertraf, zögerte sie nicht, zumal sie karrierehindernde private Bindungen in ihren Entscheidungen nicht beeinträchtigten – obwohl es ihr an Anträgen und Möglichkeiten nicht mangelte.

    Shirley Lindsey stand abwartend. Sie betrachtete ihre hellblau lackierten, sehr gepflegten Fingernägel, die sie offensichtlich farblich ihrer spitz ausgeschnittenen sportlichen Bluse angepasst hatte.
      Lehmann sortierte und besah Papiere, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen. „Nehmen Sie doch Platz“, gebot er ohne aufzusehen und seine Geschäftigkeit zu unterbrechen, offenbar in der Absicht, sein Anliegen erst dann vorzubringen, wenn sich die Tür hinter dem Letzten geschlossen haben würde.
      Master Shirley Lindsey setzte sich betont nur auf die Stuhlkante, um anzudeuten, dass sie nur einen kurzen Aufenthalt erwartete und sie von ihrer Arbeit auch nicht lange abgehalten werden wollte.
      „Ich nehme an, dass das, was in Ihrem letzten Bericht steht, nicht über das Leitungsteam hinaus bekannt ist?“ Lehmann fragte es obenhin, ohne sein Gegenüber anzusehen.
      Shirley Lindsey runzelte die Stirn. „Selbstverständlich nicht, Herr Direktor“, entgegnete sie betont. „Vertragsgemäß“, setzte sie ein wenig ironisch hinzu.
      „Wie geht es dem Welpen? Ich möchte ihn sehen.“ Lehmann hob den Kopf.
      Die Frau straffte sich. „Welchem Welpen?“, fragte sie hinhaltend, Ungemach ahnend.
      „Na der, dem Sie den Hirnstamm okuliert haben!“ Er legte übertriebenes Staunen in seine Stimme ob ihrer Begriffsstutzigkeit.
      „Den – den gibt es nicht mehr“, antwortete sie verunsichert.
      „Wie, gibt es nicht mehr?“, fragte Lehmann aufmerksam zurück.
      In Lindseys Gesicht stand Empörung. „Ich habe ihn selbstverständlich eingeschläfert!“, brachte sie patzig heraus.
      Dr. Lehmann lehnte sich heftig zurück, so dass der Sessel stöhnte. „Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?“, fragte er eher sanft und verwundert als ärgerlich.
      „Wieso denn?“ Die Frau reagierte aufgebracht. „Es entspricht doch wohl der Regel. Wenn der Kodex…“
      „Hören Sie doch auf!“, herrschte Lehmann sie nunmehr scharf an und hieb mit der flachen Hand auf den Tisch.
      „Wir sind gesetzlich angehalten, lebensfähige Fehlbildungen nach dreißig Tagen…“ Shirley Lindsey blieb hartnäckig.
      „Sie müssen mich nicht belehren!“, unterbrach Lehmann heftig. Nach einer kleinen Pause fuhr er versöhnlicher fort: „Und, wer redet von Fehlbildungen… Sie sagten ‚lebensfähig’?
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