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Chimären

Chimären

Titel: Chimären
Autoren: Alexander Kröger
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Wie lange?“ Er neigte sich vor.
      „Das ist doch gleichgültig.“
      „Bitte auf eine sachliche Frage eine sachliche Antwort!“
      „Ich habe den Versuch nicht ausgetestet.“
      „Ihre Meinung!“
      „Bislang sind Grenzen nicht absehbar.“
      Lehmann lehnte sich erneut zurück, stützte beide Hände auf die Tischplatte, sah seiner Mitarbeiterin eindringlich ins Gesicht und sagte nach einer kleinen Weile: „Erläutern Sie, um was für ein Wesen es sich handeln würde, welche Eigenschaften es hätte, und wie verhielte es sich?“
      Shirley Lindsey zögerte einen Augenblick. Sie sah Lehmann verunsichert an und kam seiner Forderung dann verhalten, um Sachlichkeit bemüht, nach: „Es wäre dieses Wesen vom Körper her Tier, Wirtstier sozusagen, mit Verstand. In welchem Grad, lässt sich nach jetziger Erkenntnis schwer sagen. Er richtet sich nach dem Schädelvolumen, der Zeit des Wachstums…“
      „… die sich, wie Sie berichten, nach der des Wirtskörpers richtet…“
      „Ganz recht.“ Die erneute Unterbrechung hatte die Frau irritiert. „Das Verhalten dieser… – ich würde sie Canismuten nennen – ist sicher abhängig davon, wie umfänglich sich das Gehirn ausprägen wird – und natürlich, wie weit das notwendigerweise verbleibende Rudiment des eigenen… Aber darüber lässt sich nichts – noch nichts – sagen.“
      „Weil Sie…“, warf Lehmann heftig ein, vollendete den Vorwurf jedoch nicht. In geändertem Tonfall fuhr er nach einer Pause fort: „Könnten Sie sich vorstellen, Master Lindsey, dass solchermaßen auch etwas – Nützliches, dem Menschen Nützliches, entstehen könnte, etwas, das man haben, verwenden möchte?“ Er sah sie durchdringend an.
      ,Aha’, dachte Shirley Lindsey, ,er lässt die Katze aus dem Sack!’ Natürlich ahnte sie, eigentlich seit Beginn des Gesprächs, worauf der Direktor hinaus wollte. Sein Geschäftssinn war sprichwörtlich, jeder Mitarbeiter hatte sich dem unterzuordnen – wie es der Arbeitsvertrag auch vorsah. ,So leicht mache ich es dir nicht, mein Lieber!’, dachte sie.
      „Sie wissen besser als ich, Chef,“, sagte sie dann leicht überheblich, „dass dem juristische Festlegungen zu Ethik und Moral entgegenstehen und dass der Gesetzgeber bei Verstößen hart durchgreift. Denken Sie an den letzten Fall des Stammzellenschmuggels…“
      Lehmann lachte gekünstelt auf. „Dass ich nicht lache!“, rief er. „Sie meinen es nicht so, hm? Dazu halte ich Sie für zu klug. Genau wie ich wissen Sie, dass ethische und moralische Erwägungen in der Menschheitsgeschichte niemals eine entscheidende Rolle gespielt haben, wenn Wissen, Profitstreben und Kapital zusammentrafen. Schon Kreuzritter haben im Namen des Herrn…“, sein Tonfall wurde ironisch, „Frauen und Kinder abgeschlachtet. Honorige Farmer haben auf erbärmliche Weise Menschen zu Sklaven erniedrigt, Rothäutige skalpiert, ihre Ernährungsgrundlage verbrecherisch zerstört.“ Lehmann sprach sich in Rage. „Es war für die Herrschenden stets moralisch, Vernichtungskriege zu führen – versehen mit dem Heiligenschein der Liebesprediger. Und wo blieben die Ethiker, als Atombomben fielen, Millionen Menschen verstrahlt wurden, als Leute, die die Menschenrechte gepachtet zu haben glauben, riesige Areale vergifteten, Kinder in Napalm grillten? Tausende kamen im Kerosininferno im Namen Allahs um. Armselige Habenichtse wurden zerbombt – bis in die jüngste Zeit hinein. Hinterher versucht man stets zu kitten, hinterher!
      Aber was rede ich!“ Lehmann winkte ab. „Sie wissen das alles. Ich wollte nur darauf hinweisen, was ich von diesen scheinheiligen Schwätzern, Ignoranten und gutgläubigen Klugscheißern halte, die geifern, als ob es das alles nie gegeben hätte. Ein kluger Mensch hat einmal sinngemäß prophezeit: Eine spätere Generation wird das tun, was sie für sich von Nutzen hält, gleichgültig, was wir Heutigen darüber gedacht haben mögen. Also – entscheiden Sie sich, Master Lindsey, entscheiden Sie sich jetzt, wozu Sie gehören wollen, zu den Gestrigen oder jenen, die die Zukunft vorbereiten – und das würde Ihr Schaden nicht sein.“ Er lächelte, und es klang keineswegs pathetisch, wie er das sagte.
      Shirley Lindsey lächelte zurück. ,Na also’, dachte sie. „Aus dem nämlichen Wurf existieren noch weitere vier Welpen – Schäferhunde.“ Sie nickte. „Es dauert kein Jahr, da sind sie ausgewachsen. Dann wissen wir
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