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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee
Autoren: Katharina Berlinger
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nicht mehr genau daran erinnern, was geschehen sei», fuhr Herr Ganz fort. «Und sie möchte den Herrn Gemahl nur äusserst ungern echauffieren und so weiter und so fort. Das Ende vom Lied ist, dass Frau Baronin nun die Suite im Ostflügel bezieht und für ihren Aufenthalt keinen Rappen bezahlen muss. Die Reparaturen in der Kleinen Suite wird wohl oder übel das Haus übernehmen.»
    Herr Ganz und Anna schüttelten beide den Kopf. Baronin von Helmdorf musste davon abgehalten werden, ihre wilde Geschichte weiterzuverbreiten. Natürlich konnte man der Dame unmöglich die Kosten für diese Episode aufladen, und da der nächtliche Gast anscheinend kein Ehrenmann war, hatte das Splendid den Schaden. So etwas kam eben vor – selbst wenn die Gäste aus den vornehmsten Schichten des Kontinents stammten, wie Herr Ganz bekümmert schloss. Anna behielt ihre Meinung dazu lieber für sich. Es traf Herrn Ganz immer hart, wenn Landsleute nicht seinen eigenen hohen Ansprüchen entsprachen. Sie überliess ihn seinen melancholischen Gedankengängen; sie musste den Umzug der Frau Baronin in die Wege leiten. Die kleine Zofe war ganz offensichtlich dieser Aufgabe nicht gewachsen.
    Gegen Abend erging die Weisung, die Kleine Suite für den Rest der Saison zu schliessen. Die zur Instandstellung notwendigen Arbeiten waren zu laut und umtriebig für den Hotelbetrieb, und so entschied der Patron, damit bis zur Winterschliessung zu warten.
    Das Ausräumen der Suite sollte möglichst ohne Zeugen vonstattengehen. Kurz bevor der Gong zum Dinner erklang, betrat Anna die Räume, um alles vorzubereiten. Jetzt, wo sie sich nicht um Freifrauen in peinlichen Situationen, überforderte Zofen und neugierige Stubenmädchen kümmern musste, blickte sie nochmals aufmerksam um sich.
    Durch die Fenster fiel die Abendsonne und beleuchtete das Zerstörungswerk. Von der Innenausstattung der Suite waren wohl einzig und allein die Nachtvorhänge heil geblieben, weil die Frau Baronin immer darauf bestand, dass diese «unhygienischen Dinger» schon vor ihrer Ankunft entfernt wurden.
    Anna hatte sich bisher weder die Mühe gemacht, darauf hinzuweisen, dass die Vorhänge regelmässig gereinigt wurden, noch je versucht, die erstaunliche Logik zu verstehen, der zufolge Nachtvorhänge unhygienisch waren, Tagvorhänge aber nicht. Stattdessen hatte sie in ihrem Zettelkasten die Karte der Baronin mit einem entsprechenden Vermerk versehen. Die schweren Samtvorhänge wurden einfach abgenommen, wenn Frau Baronin sich ankündigte.
    Anna mochte die kleinen und grossen Rätsel, die ihr das Verhalten der Gäste oft aufgab, auch wenn sie das Traumbild von Ordnung und Harmonie, das jedes Hotel so gerne erschuf, für kurze Zeit empfindlich störten. Aber dieser Vorfall überstieg alles, was sie bisher erlebt hatte. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Sie zückte ihr Notizbuch und begann zu schreiben.
    «Machen Sie eine Schadensaufnahme?» Herr Ganz war hinter ihr leise ins Zimmer getreten. «Du liebe Güte!»
    Er hatte bisher noch keine Zeit gehabt, sich in der Suite umzusehen. Der Anblick schien ihn zu beeindrucken. Schweigend wanderte er durch die Räume.
    «Der Patron könnte schon recht haben mit seiner Theorie», meinte er, als er zu Anna zurückkam.
    «Was denkt er denn, das hier geschehen ist?»
    «Nun, im Grand Palace sind ein paar Burschenschaftler abgestiegen. Sie kennen diese Herrschaften ja. Der Direktor glaubt, dass sich einer der jungen Herren mit der Baronin einen groben Scherz erlaubt hat. Und dann hat er mit seiner Waffe hier allerhand Unfug getrieben. Vielleicht wurde das Ganze sogar von Herrn Lenz eingefädelt.»
    Dass Herr Bircher den Ursprung des Ärgers im Grand Palace vermutete, war nicht weiter erstaunlich. Es war das einzige Haus am Platz, das dem Splendid annähernd das Wasser reichen konnte. Entsprechend gross waren die Animositäten zwischen den Patrons; dass sie Cousins ersten Grades waren, machte die Sache nicht besser, ganz im Gegenteil.
    Allerdings konnte Anna sich nicht vorstellen, dass Herr Lenz seine Gäste zu solchem Unfug anstiften würde. Aber wie sie selbst aus leidvoller Erfahrung wusste, bedurften gut betuchte Herren Studenten keinerlei Anreize von aussen für ihre «Spässe».
    «Hat man die Baronin denn mit einem der jungen Herren gesehen?»
    «Nein – zumindest nicht dass ich wüsste. Wenn sie einen Kurschatten hatte, dann war sie sehr vorsichtig. Doch es muss jemanden gegeben haben, sonst hätte sie kein Dinner für zwei bestellt.» Herr
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