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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee
Autoren: Katharina Berlinger
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die von Helmdorfs immer gemeinsam zur Sommerfrische in den Bergen im Splendid abgestiegen, doch seit einiger Zeit erschien die Frau Baronin alleine. Der Herr Baron beehrte das Splendid zwar weiterhin, aber nun zur Wintersaison – wobei man von ihm gewiss nicht sagen konnte, dass er alleine reiste. In einem guten Haus wurde so etwas diskret registriert und nicht weiter beachtet.
    Die herrische, nörglerische Frau Baronin war kein sehr angenehmer Gast, und über die Höhe ihrer Trinkgelder wurde mehr gelästert als über den Zustand ihrer Ehe. Ihre liebste Beschäftigung schien darin zu bestehen, das Geld ihres Gatten mit beiden Händen für Schmuck und Kleider auszugeben. Doch Hinweise auf die Existenz eines Kurschattens hatte es – zumindest bis anhin – keine gegeben.
    Anna schüttelte den Kopf und gemahnte sich zur Eile. Für ihren allmorgendlichen Gang durch das Hotel blieb nicht mehr viel Zeit. Auf diesem Rundgang erfuhr sie von den Nachtportiers alles über nächtliche Vorfälle und Probleme, die es allenfalls noch zu lösen galt, bevor der Tag im Hotel richtig anbrach. Doch Jakob, der auf der Etage der Frau Baronin Dienst gehabt hatte, war nicht in seinem Kabinett; er war wahrscheinlich schon zu Herrn Ganz zitiert worden.
    Herr Direktor Bircher betrachtete wehmütig den dampfenden Kaffee und die warmen Croissants, die ihm eben ein Kellner wie üblich ins Direktions-Bureau gebracht hatte. Das Frühstück musste warten, die Geschehnisse in der Kleinen Suite hatten Vorrang. Herr Ganz und Herr Neumeyer, der Direktions-Sekretär und Kassierer, hatten den Patron bereits davon in Kenntnis gesetzt, dass sich in der Nacht seltsame Dinge im Haus ereignet hatten. Nun warteten die beiden zusammen mit Herrn Bircher auf den Bericht der Gouvernante.
    Herr Bircher war Witwer, was bedeutete, dass die Gouvernante des Splendid sich auch um besonders delikate Angelegenheiten kümmern musste, die in anderen Häusern der Diskretion der Hoteliers-Gattin anvertraut wurden. Es brauchte hier eine Gouvernante, die mehr konnte als nur Laken zählen und Zimmermädchen herumscheuchen; das zeigte sich immer wieder.
    Als Fräulein Staufer nun ins Bureau kam und ohne mit der Wimper zu zucken ein Szenario beschrieb, das auch für Herrn Bircher trotz vieler Jahrzehnte Erfahrung im Hotelgeschäft recht ungewöhnlich klang, beglückwünschte er sich einmal mehr zu seiner Entscheidung, sie einzustellen. Es mochte ein Risiko gewesen sein, die verantwortungsvolle Position einer so jungen Person zu übertragen, aber bisher bereute er es ganz bestimmt nicht.
    Ihre Vorgängerin, Fräulein Hartlaub, hatte hervorragende Arbeit geleistet, doch im Laufe der Jahre ein paar Eigenheiten entwickelt, die nur schwer mit ihrem Beruf in Einklang zu bringen gewesen waren. Normalerweise wusste Direktor Bircher ein gewisses Mass an moralischer Strenge bei seinen Angestellten, besonders den weiblichen, durchaus zu schätzen. Leider hatte Fräulein Hartlaub dieses Mass bei Weitem überschritten, als sie mit einem bedrohlich geschwungenen Schürhaken bewaffnet in die Suite eines über achtzigjährigen Vicomtes gestürmt war. Das fortgeschrittene Alter des Herrn hatte sie allerdings nicht davon abgehalten, ihn eines unsittlichen Antrags zu beschuldigen. Der Vicomte hatte lediglich ein Zimmermädchen auf Französisch – der Sprache der Sünde par excellence, zumindest in Fräulein Hartlaubs leicht verschraubtem Geist – um eine Wärmflasche gebeten. Das dumme Ding hatte ihn nicht verstanden, war zur Gouvernante gerannt und von da an war die Situation auf mysteriöse Art und Weise, die dem Direktor immer noch Rätsel aufgab, ausser Kontrolle geraten.
    Man hatte Fräulein Hartlaub umgehend zu ihrer Schwester zur Erholung geschickt, und Anna Staufer, damals bereits die rechte Hand der Gouvernante, war eingesprungen. Nach einer Woche hatte sie dem Direktor vorgeschlagen, bis zum Saisonende für ihren Zimmermädchen-Lohn weiter als Gouvernante zu arbeiten. Sollte er zufrieden sein, würde sie die Stellung fest auf die neue Saison erhalten. Herr Bircher, konfrontiert mit der hoffnungslosen Aufgabe, während der Hochsaison eine Gouvernante zu finden, hatte nicht lange gezögert; auch wenn er über ihr forsches Vorgehen insgeheim verstimmt gewesen war. Doch das Arrangement bewährte sich, und so arbeitete im Splendid nun die jüngste Gouvernante weit und breit.
    Ihr Alter mochte gegen Fräulein Staufer sprechen, doch sie sah bereits dermassen altjüngferlich aus, dass
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