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Cheng

Cheng

Titel: Cheng
Autoren: Heinrich Steinfest
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jemand, der beruflich gezwungen war, sich mit der Verhaltensforschung auseinanderzusetzen, überlegte er, was all die Menschen davon abhielt, die durch nichts begründete Sicherheit des Bettes aufzugeben. Eine Frage, die ihn nun unglücklicherweise selbst betraf. Alles, was ihm dazu einfiel, war wenig hilfreich. Natürlich konnte man das Bett mit einem Nest, einer Höhle, dem mütterlichen Schoß, einem fliegenden Teppich assoziieren und mußte berücksichtigen, daß das immerhin der Ort war, von dem aus man die Realität hinter sich ließ (um freilich einer ebenso unerfreulichen zuzusteuern), aber erklärte das die völlig absurde Vogel-Strauß-Mentalität der meisten Bettbenutzer?
    Diese Überlegungen führten leider nicht dazu, daß Ran seine Starre aufgab, um endlich nachzusehen, wer oder was diesen Schatten verursachte, oder um zumindest in Panik in die Küche zu rennen und nach dem größten Messer zu greifen. Dazu hätte Ran nicht einmal das Nebenzimmer betreten müssen, da von beiden Räumen eine Tür in den Vorraum ging, der zu Küche, Badezimmer und immerhin einer Ausgangstür führte, was ja auch eine Möglichkeit gewesen wäre. Diese Einsicht traf allerdings Batman, der vom Bett sprang und mit der ihm gegebenen Schnelligkeit und Umsicht durch die offene Tür in den Vorraum gelangte (darum bestehen Katzen auf offene Türen, während der in grotesken Sicherheitsüberlegungen gefangene Mensch sich hinter Stahlbalken und einer Unzahl von Schlössern verbarrikadiert, um dann in seiner eigenen Wohnungsfalle zu hocken). In der Küche waren nicht nur Messer zu finden, sondern auch Verstecke, die sich für ein Wesen von der Größe und Geschmeidigkeit Batmans ausgezeichnet eigneten. Er war kein Hund, er würde nicht als Held sterben.
    Ran hingegen tat erwartungsgemäß das Unsinnigste und Dümmste und scheinbar seiner Spezies Entsprechende und kroch zur Gänze unter die Decke (was natürlich niemand erfahren würde, stünde es nicht hier).
    Zwar hörte Ran die Schritte nicht, die auf ihn zukamen, aber er spürte sie, gerade so viel Instinkt besaß er noch. Er hielt sich die Hand vor den Mund, um den lauten Klang seines Keuchens abzudämpfen, und krampfte sich zusammen, um nur ja keine verräterische Bewegung aufkommen zu lassen. Und war zu blöde vor Angst, das Lächerliche seines Tuns zu erkennen.
    Und er betete. Nicht zu Gott, der ohnedies nicht geholfen hätte, sondern wie eben Menschen beten, wenn die Todesangst ihnen ihre Selbstachtung raubt und sie zu jeder Vertragsunterzeichnung bereit wären, nur um noch ein weiteres Stück geräucherten Lebens anhängen zu dürfen. Dabei tötet ihnen die Langeweile des Daseins den Nerv – wird dieses aber endlich unterbrochen durch den Schlag eines an Drama, Tragödie und Lustspiel geschulten Schicksals, sehnen sie sich nach der Langeweile zurück, so wie sich karitative Organisationen nach Hungerkatastrophen sehnen oder die progressive Kunst nach dem bürgerlichen Unverständnis.
    Ran spürte das Gewicht des Schattens auf seiner Bettdecke. Aber selbst in dem unerfreulichen Geisteszustand, in dem er sich befand, glaubte er nicht an überirdische Zeitgenossen und war sich also sicher, daß so ein Schatten nicht ohne jemanden auskam, der ihn warf.
    In Wirklichkeit führte der Schatten – ganz im Einklang mit den Naturgesetzen, schließlich war nun die Bettlampe die stärkste Lichtquelle – vom Bett weg. Was Ran spürte, das war ganz einfach das Gewicht einer menschlichen Hand. Aus dieser Hand brach ein einzelner Finger aus und drückte durch die Decke sanft auf Rans Nacken.
     
    Der Schrei, der ihm aus dem Mund brach wie eine unerwartete Erbschaft, war heiß wie Hühnerbrühe und wie diese nur eine Bedrohung für den, der sich an ihr verbrennt. Er spuckte und hustete, aber er blieb in der Schweiß- und Angstkammer seiner Bettdeckenbehausung.
    Als er sich endlich beruhigt hatte, hörte er ein Lachen aus dem Nebenzimmer, das sich hörbar auf den Balkon entfernte.
    Mit dem Mut, den die Nacherzählung gebiert, riß er die Bettdecke zur Seite und richtete sich auf. Tränen der Wut stiegen ihm in die Augen. Seine Wohnung lag im Parterre, und der Balkon führte auf einen begrünten und radikal beblumten Innenhof, den eine Gruppe arbeitswütiger älterer Damen dazu benutzte, jede natürliche Regung der Natur mit den Mitteln militanter Kleingartenkultur zu unterbinden. Der Balkon lag keine dreißig Zentimeter oberhalb des Bodens.
    Nun stand Ran auf ihm, zwischen Topfpflanzen und
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