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Charlston Girl

Charlston Girl

Titel: Charlston Girl
Autoren: authors_sort
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»Wieso sind hier keine Blumen?«
    »Oh.« Sofort macht Mum ein ängstliches Gesicht. »Ich hatte mit Trudy über Blumen gesprochen, und sie hat gesagt, sie wollte sich drum kümmern. Trudy?«, ruft sie hinüber. »Was ist mit den Blumen passiert?«
    »Also!« Trudy klappt ihr Hello zu und fährt herum, wie zu einem kleinen Plausch. »Ich weiß, wir haben darüber gesprochen. Aber weißt du eigentlich, was das alles kostet?« Sie deutet in die Runde. »Und wir sitzen hier nur... wie lange? Zwanzig Minuten? Da muss man realistisch sein, Pippa. Blumen wären rausgeschmissenes Geld.«
    »Wahrscheinlich hast du recht«, sagt Mum zögernd.
    »Ich meine, ich missgönne der alten Dame ihre Feier ja nicht.« Tante Trudy beugt sich zu uns vor, spricht leise. »Aber man muss sich doch fragen: ›Was hat sie je für uns getan?‹ Ich meine, ich kannte sie gar nicht. Du?«
    »Na ja, das war etwas schwierig.« Mum macht ein gequältes Gesicht. »Sie hatte einen Schlaganfall und war die meiste Zeit verwirrt...«
    »Genau!« Trudy nickt. »Sie hat nichts mehr mitbekommen. Wozu also? Wir sind nur wegen Bill hier.« Liebevoll sieht Trudy zu ihm hinüber. »Er hat ein viel zu weiches Herz. Oft genug sage ich zu den Leuten...«
    »Schwachsinn!« Diamanté reißt sich die Stöpsel aus den Ohren und starrt ihre Mutter verächtlich an. »Wir sind nur hier, damit Dad seine Show abziehen kann. Er wollte erst herkommen, als der Produzent gesagt hat, eine Beerdigung würde ihm ›unbezahlbare Sympathien‹ einbringen. Ich habe sie belauscht.«
    »Diamanté!«, ruft Tante Trudy ärgerlich.
    »Es stimmt! Er ist der größte Heuchler auf der Welt, genau wie du. Und ich sollte jetzt eigentlich längst bei Hannah sein.« Diamantés Wangen blähen sich verdrossen. »Ihr Dad gibt eine Riesenparty für seinen neuen Film, und ich bin nicht dabei. Nur damit es so aussieht, als hätte Dad was mit Familie und Mitgefühl am Hut. Das ist so was von unfair!«
    »Diamanté!«, sagt Trudy scharf. »Wie du dich vielleicht erinnern wirst, hat dein Vater dir und Hannah den Trip nach Barbados spendiert. Und diese Brust-OP, von der du dauernd redest ... was meinst du wohl, wer die bezahlt?«
    Diamanté atmet scharf ein, als wäre sie zu Tode gekränkt. »Das ist so was von unfair! Es ist schließlich für einen wohltätigen Zweck.«
    Interessiert beuge ich mich vor. »Wie kann eine Brust-OP einem wohltätigen Zweck dienen?«
    »Ich gebe hinterher ein Zeitschrifteninterview und spende das Honorar«, sagt sie stolz. »Also, das halbe Honorar wahrscheinlich.« Ich sehe Mum an. Sie ist sprachlos vor Entsetzen. Fast muss ich losprusten.
    »Hallo?« Wir blicken alle auf und sehen eine Frau mit grauen Hosen und weißem Priesterkragen, die den Gang entlangkommt.
    »Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, sagt sie und spreizt die Hände. »Ich hoffe, Sie mussten nicht allzu lange warten.« Sie hat kurzes, scheckiges Haar, eine Brille mit dunklem Rand und eine tiefe, fast maskuline Stimme. »Mein Beileid für Ihren Verlust.« Sie wirft einen Blick auf den kahlen Sarg. »Ich weiß nicht, ob Sie entsprechend informiert wurden, aber üblicherweise stellt man Fotos der Verblichenen auf...«
    Untereinander tauschen wir leere, peinlich berührte Blicke. Dann schnalzt Tante Trudy plötzlich mit der Zunge.
    »Ich hab ein Foto! Das Pflegeheim hat es geschickt.«
    Sie wühlt in ihrer Tasche herum und holt einen braunen Umschlag hervor, aus dem sie ein zerknittertes Polaroid holt. Als sie es weiterreicht, werfe ich einen Blick darauf. Es zeigt eine faltige, alte Dame, zusammengesunken auf einem Stuhl, in einer unförmigen, blasslila Strickjacke. Ihr Gesicht ist von Millionen Falten durchzogen. Das weiße Haar sieht aus wie Zuckerwatte. Ihre Augen sind trübe, als könne sie die Welt nicht sehen.
    Das also war meine Großtante Sadie. Und ich habe sie nie kennengelernt.
    Argwöhnisch betrachtet die Pastorin das Foto, dann pinnt sie es an eine große Tafel, auf der es total traurig und eher etwas peinlich aussieht, so ganz allein.
    »Möchte einer von Ihnen etwas über die Verstorbene sagen?«
    Stumm schütteln wir die Köpfe.
    »Ich verstehe. Oftmals ist es für die nächsten Verwandten einfach zu schmerzhaft.« Die Pastorin zückt Notizbuch und Bleistift aus ihrer Tasche. »In diesem Fall möchte ich in Ihrem Namen sprechen. Wenn Sie mir nur ein paar Details nennen würden. Ereignisse aus ihrem Leben. Erzählen Sie mir alles über Sadie, was wir besonders hervorheben sollten.«
    »Wir
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