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Charlston Girl

Charlston Girl

Titel: Charlston Girl
Autoren: authors_sort
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einfach nicht...
    »Alles in Ordnung, Lara?« Dad sieht zu mir herüber.
    »Ja!«, sage ich fröhlich und stelle das Handy ab, bevor er das Foto sehen kann. Als Orgelmusik einsetzt, sinke ich auf meinem Stuhl zurück und tauche in mein Elend ab. Ich hätte heute nicht hierherkommen sollen. Ich hätte eine Ausrede finden sollen. Ich hasse meine Familie, und ich hasse Beerdigungen, und es gibt hier nicht mal einen ordentlichen Kaffee und...
    »Wo ist meine Kette?« Die ferne Stimme einer jungen Frau dringt in meine Gedanken.
    Ich sehe mich um, will wissen, wer das ist, doch hinter mir sitzt niemand. Wer war das?
    »Wo ist meine Kette ?«, höre ich die leise Stimme wieder. Sie ist hoch und herrisch und klingt vornehm. Kommt sie aus dem Handy? Habe ich es nicht richtig ausgemacht? Ich hole es aus der Tasche - doch das Display ist schwarz.
    Komisch.
    »Wo ist meine Kette ?« Jetzt klingt die Stimme, als wäre sie direkt in meinem Ohr. Ich zucke zusammen und sehe mich erschrocken um.
    Was noch komischer ist: Niemand sonst scheint etwas bemerkt zu haben.
    »Mum.« Ich beuge mich vor. »Hast du gerade eben was gehört? So was wie eine... Stimme?«
    »Eine Stimme?« Mum sieht mich fragend an. »Nein, Liebes.
    Was für eine Stimme denn?«
    »Es war eine Frauenstimme, gerade eben...« Ich stutze, als ich den altbekannten Ausdruck von Angst in Mums Miene entdecke. Fast sehe ich, was sie denkt, in einer Sprechblase: Ach du lieber Gott, jetzt hört meine Tochter schon Stimmen in ihrem Kopf.
    »Da habe ich mich wohl verhört«, sage ich eilig und stecke mein Handy ein, als eben die Pastorin eintritt.
    »Bitte erheben Sie sich«, beginnt sie. »So lasset uns verneigen. Lieber Gott, wir vertrauen dir die Seele unserer Schwester Sadie an...«
    Ich habe keine Vorurteile, aber diese Pastorin hat die monotonste Stimme seit Erfindung der Menschheit. Es geht erst seit fünf Minuten so, aber schon jetzt gebe ich mir keine Mühe mehr, ihr zuzuhören. Es ist wie beim Schulappell. Dein Hirn wird taub. Ich lehne mich zurück, blicke zur Decke auf und klinke mich aus. Gerade lasse ich meine Augenlider zufallen, als ich diese Stimme wieder höre, direkt in meinem Ohr.
    » Wo ist meine Kette?«
    Das lässt mich zusammenfahren. Ich drehe meinen Kopf von links nach rechts, aber wieder ist da nichts. Was ist los mit mir?
    »Lara!«, wispert meine Mutter besorgt. »Alles okay?«
    »Ich hab nur Kopfschmerzen«, zische ich zurück. »Vielleicht setz ich mich lieber ans Fenster. Frische Luft hilft.«
    Möglichst leise stehe ich auf und gehe zu einem Stuhl im hinteren Teil des Raumes. Die Pastorin merkt es kaum. Sie ist viel zu sehr in ihren Sermon vertieft.
    »Dieses Ende des Lebens ist der Beginn des Lebens... denn wie wir auf die Erde kamen, so kehren wir dorthin zurück...«
    »Wo ist meine Kette ? Ich brauche sie!«
    Scharf fahre ich herum, wende meinen Kopf hin und her, in der Hoffnung, die Stimme diesmal ausfindig zu machen. Und dann plötzlich sehe ich etwas. Eine Hand.
    Eine schlanke, manikürte Hand auf der Stuhllehne direkt vor mir.
    Ungläubig starre ich sie an. Die Hand gehört zu einem langen, sehnigen Arm. Der wiederum zu einer jungen Frau gehört, die etwa in meinem Alter ist. Die sich auf einem Stuhl vor meiner Nase fläzt und ungeduldig mit den Fingern trommelt. Sie hat dunkles Haar, zu einem Bob geschnitten, und trägt ein ärmelloses, hellgrünes Seidenkleid. Ich sehe ein blasses, energisches Kinn.
    Ich bin so überrascht, dass ich nur glotzen kann.
    Wer zum Teufel ist das?
    Sie schwingt sich von ihrem Stuhl, als könnte sie nicht stillsitzen, und fängt an, auf und ab zu laufen. Ihr Kleid ist gerade geschnitten und reicht bis zum Knie, mit einem Saum aus schmalen Falten, die beim Gehen rascheln.
    »Ich brauche sie!«, fleht sie. »Wo ist sie? Wo ist sie?«
    Ihre Stimme klingt etwas eckig und abgehackt, wie in alten Schwarzweißfilmen. Aufgeregt sehe ich zu meiner Familie hinüber, aber niemand sonst hat sie bemerkt. Keiner hat auch nur ihre Stimme gehört. Alle sitzen nur still da.
    Plötzlich fährt das Mädchen herum, als hätte es meinen Blick gespürt, und starrt mich an. Ihre Augen schimmern so dunkel, dass ich nicht sagen kann, welche Farbe sie haben, doch weiten sie sich ungläubig, als ich ihren Blick erwidere.
    Okay, langsam kriege ich Panik. Ich habe eine Halluzination.
    Eine ausgewachsene, laufende, sprechende Halluzination. Und sie kommt auf mich zu.
    »Du kannst mich sehen.« Sie zeigt mit dem Finger auf mich, und ich
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