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Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Titel: Charlotte Und Die Geister Von Darkling
Autoren: Michael Boccacino
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holen?
    »Ja   … Ich glaube Ihnen.« Ich versuchte, nicht zu zittern. »Wie kann ich ihn aufhalten?«
    »Seien Sie vorsichtig. Und wachsam.« Sie hob den Koffer vom Bett und trug ihn aus dem Zimmer, wobei sie mir einen wissenden Blick zuwarf, danach verlor sie kein weiteres Wort mehr darüber. Wir räumten alles andere in Kisten und Säcke und stellten sie auf den Gang. Roland würde Nanny Prums Habseligkeiten mit dem Wagen zur Kirche bringen. Bei dem Basar zum Winteranfang würden die Einwohner von Blackfield in Nanny Prums Sachen stöbern und ihre Erinnerungen zerstreuen wie Samen im Wind.
    In den Tagen nach dem Begräbnis zog ich in das Zimmer um, das neben dem der Kinder lag, und füllte die leer gewordenen Schränke und Laden mit meinen eigenen Sachen. Nach all den Erfahrungen begann ich, mich dabei auf morbide Weise zu fragen, was wohl mit meinen Sachen geschehen würde, wenn ich vor meiner Zeit sterben sollte. Etwa mit dem Ehering, den ich in eine Lade des Nachttischchens legte und nicht mehr tragen konnte, weil sein Gewicht eine zu große Last für mich geworden war. Oder mit der Haarlocke meiner Mutter, die immer noch nach ihr duftete. Ein schmales blaues Band hielt sie zusammen und ich pflegte sie als Lesezeichen zu verwenden. Was würde mit der Pfeife meines Vaters mit dem Sprung im Pfeifenkopf geschehen; eine Erinnerung an die Sonntagnachmittage auf seinem Schoß, in seinem Arbeitszimmer, als er mir Gedichte vorlas. Das alles lag jetzt zusammen mit dem Schmuck meiner Mutter in einer kleinen Schatulle im Kleiderschrank. Solcherart bewahrte ich meine Erinnerungen, an kleine Andenken gekettet, die für jemand anderen keine Bedeutung haben würden. Ich fragte mich, auf welche Weise sich die Menschen an mich erinnern würden. Was würde sie viele Jahre später einen Moment innehalten und an eine Frau namens Charlotte zurückdenken lassen?
    Zur Erinnerung an Nanny Prum behielt ich eine Elfenbeinbrosche, die sie an ihren Kleider zu tragen pflegte. Vielleicht stellte die Gravur ihre Mutter oder Großmutter dar? Ich hatte sie nie danach gefragt. Vielleicht hatte sie sie auf einem Flohmarkt gekauft oder nahm sie zur Erinnerung an jemanden an sich, den sie verloren hatte, so wie ich. Die Brosche war auf einfache Weise elegant. Sie erinnerte mich an unsere erste Begegnung während meines ersten Tages auf Everton.
    Jonathan war nicht der Einzige gewesen, der Opfer des Feuers wurde. Sechs Angehörige des Haushaltspersonals waren ebenfalls gestorben und hatten Familien ohne Einkommen hinterlassen. Gegen den Wunsch unseres Anwalts, Mr. Croydon, benutzte ich die Mittel, die mir zur Verfügung standen, um ihnen das Leben ein wenig leichter zu machen, auch wenn ich ihnen damit die Liebsten nicht ersetzen konnte, die sie verloren hatten. Ich hätte mir sonst nicht mehr in die Augen sehen können, und der Gedanke, ein neues Zuhause für mich aufzubauen, verwaist, verwitwet und allein, wie ich war, erschien mir unerträglich. Ich hatte noch die Militärrente meines Vaters, doch die reichte nicht aus, um mein Leben so weiterzuführen, wie ich es gewohnt war. Mr. Croydon stimmte schließlich widerwillig zu, mir eine Anstellung als Gouvernante zu beschaffen, in der ich, wenigstens für eine Weile, Anteil an Leben und Familie anderer Menschen nehmen konnte.
    Schon wenige Wochen später fand ich mich in den Hallen und Gängen Evertons wieder, bewunderte gerade ein Gemälde einer öden grauen Landschaft, das mysteriöserweise mit L. Darrow signiert war, als eine kräftige Frau, angetan mit gestärkten schwarzen Röcken und der zuvor erwähnten Brosche, den Korridor herab auf mich zukam.
    »Mrs. Markham!« Ihre Stimme hallte in lautem, schwellendem Crescendo von den Wänden wider. Sie empfing mich mit offenen Armen, und ihre dünnen Lippen formten ein breites Lächeln zwischen den apfelroten Wangen. Die Frau besaß eine äußerst ansteckende Fröhlichkeit. Ich musste lachen, als sie mich mit ihren dicken fleischigen Armen umschlang.
    »Wie schön, dass Sie hier sind, meine Liebe! Ich bin Nanny Prum.« Ich holte rasch Luft, als mich ihre Arme wieder freigaben.
    »Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite   …«
    Die Frau lachte. Ihre Hand war wie ein rundes Steak, als sie mir auf den Rücken klopfte. Sie hakte sich bei mir unter und führte mich den Gang entlang.
    »Ich glaube, für die beiden kleinen Jungs, James und Paul,werden wir wie Schwestern sein oder zwei fröhliche Tantchen! So brave Buben. Goldigere Kinder sind mir noch
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