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Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Titel: Charlotte Und Die Geister Von Darkling
Autoren: Michael Boccacino
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Haushälterin geführt hatte. Trotz ihres schrillen Tons sprach sie mit einer Überzeugung, der ich mich nicht entziehen konnte. »Was haben Sie ihr gesagt, Mrs. Norman?«
    »Es gab einen Mann in ihrem Leben. Wer das war, weiß ich nicht gewiss. Aber er wollte ihr übel, und nach allem, was Susannah Larken gesehen hat, wollte er ihr noch viel mehr als das.«
    »Haben Sie das sonst noch jemandem erzählt?«
    »Was würde das bringen? Die meisten Menschen glauben nicht mehr an diese Dinge.« Mrs. Norman nahm plötzlich meine Hand in die ihre und blickte in meine Augen. »Glauben Sie, Charlotte?«
    Ich dachte an meine Kindheit in Indien, an die heiligen Männer und Mystiker und an meine Mutter, die auf ihrem Krankenbett nach Luft rang. Ich war allein mit ihr gewesen, als sie schließlich starb, während mein Vater draußen vor der Tür mit dem Arzt stritt. Ich habe ihm nie von dem Mann in Schwarz erzählt, der plötzlich an ihrem Bett erschien. Das Licht im Zimmer war zu schwach, als dass ich seine Züge hätte sehen können, aber als er näher trat, um den Körper meiner Mutter zu berühren, warf ich mich auf ihn und trat und biss mit all meinen Kräften. Doch in dem Augenblick, da ich ihn erreichte, verschwand er. Mein Vater kam einen Moment später mit dem Arzt ins Zimmer zurück und versank in seinem Kummer. Der Mann hatte nicht die Zeit gehabt, unbemerkt zu verschwinden, deshalb sagteich nichts. Ich hielt alles für einen Traum, bis ich Jahre später mit meinem Vater im Arboretum unseres Anwesens zu Abend aß.
    In einem Augenblick rauchte er seine Pfeife und gestikulierte heftig in die Richtung der Azaleen, während er im wirbelnden Pfeifenrauch seine Ansichten über eine bestimmte politische Partei kundtat, und im nächsten griff er sich an die Brust und sackte auf dem Steinboden zusammen. Ich bettete ihn in meinen Schoß und weigerte mich, vor dem Eintreffen des Arztes eine Träne zu vergießen. Als die Türglocke läutete und der Diener meines Vaters öffnete, konnte ich plötzlich spüren, dass wir nicht ganz allein waren. Der Mann in Schwarz stand neben mir und wischte eine Schweißperle von der Stirn meines Vaters. Da wusste ich, dass er in meinen Armen gestorben war.
    »Wer bist du?«, schrie ich den Fremden an. Er griff mit einer behandschuhten Hand unter mein Kinn und hob mein Gesicht an, so dass ich direkt in seines blickte. Selbst aus dieser Nähe blieben seine Züge hinter einem ständig wogenden Schleier in Düsternis verborgen. Ich wich von Grauen erfüllt zurück und klammerte mich fest an meinen Vater, als der Mann sich entfernte. In seiner unmittelbaren Nähe verfaulten und verdorrten die Pflanzen und zerfielen zu Staub.
    Als ich verheiratet war, erzählte ich Jonathan, was ich beim Tod meiner Mutter und meines Vaters gesehen hatte. Zuerst war ich nicht sicher, ob er mir glaubte, aber dann legte er die Arme um mich und flüsterte mir ins Ohr: »Ich glaube, dass die Welt viel komplizierter ist, als wir je verstehen werden. Vielleicht war dir ein Blick auf etwas vergönnt, das den meisten Menschen verborgen bleibt. Der Tod kommt zu uns allen, meine Liebste.«
    Und so war es auch. Das Feuer holte meinen Mann nur ein paar Monate später. Als er sterbend in den verkohlten Überresten unseres Anwesens lag, begegnete ich dem Mann in Schwarzein drittes Mal. Ich war zu schwach, um ihn anzugreifen oder auch nur anzubrüllen, als er mit seinen behandschuhten Fingern Jonathans Augen schloss. Aber ich stellte ihm Fragen.
    »Ist das dein Werk, oder bist du nur ein Aasgeier, der an den Gebeinen meines Lebens hackt?« Er neigte seinen Kopf zur Seite, doch ob das irgendeine Bedeutung hatte, wusste ich nicht. Am Morgen fanden sie mich, noch immer an meinen Mann geklammert. Die Bäume und das Gras um uns herum waren abgestorben und verdorrt, obgleich das Feuer nie den Wald erreicht hatte.
    Nichts davon erzählte ich Mrs. Norman. Stattdessen blickte ich sie an und sagte: »Ich glaube, dass die Welt viel komplizierter ist, als wir je verstehen werden.«
    »Dann glauben Sie mir also, wenn ich Ihnen sage, dass Sie in Gefahr sind?«
    »In was für einer Gefahr?«
    »In der gleichen wie Nanny Prum. Ein Mann wartet auf Sie. Er beobachtet Sie.« Mein Gesicht wurde plötzlich ganz heiß, ob vor Panik oder Wut, vermochte ich nicht zu sagen. Susannah hatte einen ganz in Schwarz gekleideten Mann gesehen. Wenn es derselbe war, dem ich begegnete, mochte es dann sein, dass er mich verfolgte? Und wenn ja, wen würde er als Nächstes
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